Szenen meines Lebens IX

Schon morgens beim Betreten der Redaktionsräume in Hütte schwante mir Unheil. Dieses süffisante Grinsen auf den Gesichtern meiner Kollegen. Hatte ich mein Hemd falsch herum angezogen. Irgendwelche verräterischen Flecken auf der Hose vom Vorabend? Restalkohol? Kurze, unauffällige Überprüfung. Nichts dergleichen. Puh! Glück gehabt.

Das Süffisante steigerte sich ins Sardonische, als ich mich meinem Schreibtisch näherte. Dort lag, fein säuberlich aufgeschlagen mein Artikel des Vortages. Mit einem hübschen Bild wohlfeil abgerundet. Hatte sich die etwas ältere Fotografin-Kollegin, die das illustrieren von schnöden Artikeln so gar nicht mir ihren künstlerischen Neigungen und Ambitionen in Übereinklang zu bringen wusste, mal richtig Mühe gegeben. Was zum Henker sollten also diese nicht enden wollenden Blicke? Tippfehler waren auch nicht im übermäßigen Maß vorhanden. Und das beiläufig Hingeworfene „Ich freu mich schon auf Kuchen“ meines Redaktionsleiters sorgte auch für kein Erhellen in meinen Hirnwindungen.

Die Sekretärin erklärte es mir dann später im Vorbeigehen. Nicht das, was ich geschrieben hatte, sei das Problem. Sondern das Foto. Diese Foto von einem lokalen Großmufti.  Denn es zeige nicht mal nur eben den Berichtsgegenstand. Sondern klar erkennbar auch meine Wenigkeit. Und das sei ungeschriebener Brauch, dass man sich nicht selber als Reporter in der Vordergrund stellen sollte. Ergo werde so etwas mit einer saftigen Backwarenspende redaktionsintern auszugleichen sein.

Ob die gefräßige Bande nur nach einem Vorwand für weitere Stücke frischen Erdbeerkuchens suchte, ließ ich in der Sekunden mal dahingestellt. Ich hatte mir nie darüber Gedanken gemacht. Bis jetzt eben. Fein rein geritten, Frau Künstlerin! Alte Schule, wa? War ja neu hier. Von meinem armen Volo-Gehalt spendierte ich pflichtschuldigst ein sattes Blech. Wollte mir ja nix nachsagen lassen. Zumal ich der einzige Wessi in der Redaktion war. Nicht, dass man es auf die üblichen Dünkel schieben würde. Mitte der 90er musste man bei so etwas im Oderrandgebiet noch aufpassen. Später erhielt ich dann von dritter Seite nochmal die Bestätigung, dass es bei diesem regionalen Aboblatt tatsächlich sich so verhielt. Ganze Generationen junger Kollegen hatten schon die feixenden Gesichter der Altgedienten ertragen und in Nahrungsform Buße tun müssen.

Andere Zeitungen, andere Sitten. Mein Wechsel zum Boulevard kurz vor der Jahrtausendwende lehrte mich eine ganz andere Seite der Branche kennenlernen. Die Fotos mit dem Fußballstar seien ja schön und gut. Sicher, alles irgendwie druckbar. Aber wo bitte sei ich denn? Ich wäre ja nirgends zu sehen. Wenigstens eine  – Vorsicht, Branchenjargon für winziges Beistellbildchen – Briefmarke hätte doch dabei sein müssen. Sichtlich unzufrieden mit mir und der Welt machte sich mein Ressortleiter brummelnd ans Bauen der Seite. Ui, wider was gelernt.

Heute weiß ich, dass das substanzielle Gattungsunterschiede sind. Auch wenn die Grenzen immer mehr verfließen. Bei den Straßenverkaufszeitungen will man dem Leser bewusst vor Augen führen, wie nah man den Schönen und Mächtigen dieser Welt ist. Es ist sozusagen der Foto-Beweis, dass das, was man schreibt, vollumfänglich der Wahrheit entspricht. Unabhängig davon wie bunt und marktschreierisch die Verpackung auch daher kommt. Eine Frage der Glaubwürdigkeit also.Und des mitten drin statt nur dabei seins! Nicht selten schwingt sich ein rasender Reporter  im Dienste des Boulevards sogar auf, und macht all Sachen mit, was die Herren Profis im Alltag absolvieren. Beispielsweise lässt man sich vom Fitnesstrainer der Berufssportler einen Tag lang nach allen Regeln der Kunst malträtieren. Oder tritt im Wettstreite in einer anderen Zunft gegen sie an.

Beide Seiten haben also ihre Daseinsberechtigung. Durchaus. Das ich wiederum noch eine dritte Variante im Laufe meiner Reporterjahre beisteuern würde, hätte ich mir nicht träumen lassen.

Schuld, so man denn hier von Schuld sprechen kann,  daran waren die Weihnachtsfeiertage 2008. Es ist nicht unüblich, dass in dieser an Nachrichten armen Zeit ganze Artikel von Kollegen fleißig vorgeschrieben werden und der Veröffentlichung harren. Wann immer gähnende Leere im Blatte droht, werden damit flugs die Spalten gefüllt. Oft auch in Abwesenheit des Autoren. Was dann bei manche Redigier-Ungereimtheiten oder nennen wir es freundlich Schussligkeiten immer wieder für lustige Spannungsmomente im innerbetrieblichen Klima  führen kann.

Aber darum geht es diesmal nicht. Denn der Text bei den sehr ehrenwerten Kollegen des Tagesspiegels, der sich mit dem langatmig besungenen und viel gepriesenen Stadionbau des 1.FC Union beschäftigte, war einwandfrei. Zumindest fiel mir nach dem Lesen nichts auf, was es hätte zu beanstanden geben können. Hatte der Kollege D. fein gemacht.

Lustiger aber war die Bildauswahl! Denn mittenmang prangte ein lustiges Bildchen von mir mit einer Schaufel und einem roten „Bluten-für-Union“-Shirt auf der Sport-Aufmacherseite. Der Kollege D. von mir eilends zu Hause angerufen und mit Dank überschüttet, fiel aus allen Wolken. hatten doch seine Mitstreiter sich vom 1.FC Wundervoll eine Handvoll Bildchen gewünscht, mit dem sie den Text zu illustrieren gedachten. Und in diesem Potpourri des Werkelns waren – sozusagen live und in Farbe – Abbilder meiner selbst. Geschossen, als ich im August 2009 zwei Tage seit an Seit mit Pressesprecher Christian Arbeit selber an der schönsten Baustelle der Welt mit Hand angelegt und das natürlich gebührend im Kurier dokumentiert hatte.

Übrigens, ich habe es nochmal geschafft im Tagesspiegel vorzukommen. Na gut, nur ein kleiner Teil von mir. Genauer gesagt die linke Hand. Aber dafür sogar auf Seite 1. Ganz oben in der Ecke!

Und das kam so. Es begab sich nämlich zu der Zeit, als eine in Charlottenburg heimische Mannschaft sich anschickte, den steinigen Pfad des Aufstiegs zu erklimmen, dass ein unbeugsames Häufchen Eisernen nicht aufhörte den Eindringlingen, äh kurz, dem Ganzen temporalen Widerstand entgegenzusetzen. Und dieses Spiel, war das erste Pflichtspiel der beiden im Olympiastadion. Das Interesse war groß. Und die Tickets heiß begehrt. Was einen umtriebigen, fleißigen Kollegen, Archivaren des Augenblicks  und Vornamensvetter auf die Idee brachte, die Bückware doch einmal abzulichten. Ich war gerade im wahrsten Sinne des Wortes mit vier Tickets ins Glück zur Hand – und voila – der Tagesspiegel druckte als Anreißer in der Ausgabe des 5.2.2011 eben jenes Symbolbildchen für das Spiel der Spiele ab. Auch nicht schlecht, oder?

Ne, ich mag nicht!

Der 1.FC Wundervoll vermeldet seinen Sommerfahrplan. Und zwar hier! Was sehr löblich, weil zeitig. Und nicht wie sonst häufig erst Wochen nach dem Abschluss der Spielzeit. Warum dieser nun „Sommer of Love“ betitelt wird erschließt sich mir zwar nicht.  Doch das ist für meine Gedanken gerade auch unerheblich. Mir geht es eher um daseingangs der Meldung erwähnte, altehrwürdige Zoschke-Stadion, dem die Eisernen am 19. Juni im Rahmen ihrer Sommervorbereitung ihre Aufwartung machen wollen. Denn dann gastiert die Elf von Uwe Neuhauszum Testkick  bei Lichtenberg 47 in der HOWOGE-Arena.

Himmel, hilf. HOWOGE-Arena! Meine Nackenhaare stellen sich auf. Zoschke riecht nach Tradition. Nach Fußball pur ohne Event und Schnittchen. Nach Spielfreude! Lust aufs Bällchen. Nach dem, was wir lieben. Aber HOWOGE? Ja, ich weiß, dass heutzutage die Stadion an beliebige Namenspatronen verschachert werden. Nicht alle tun sich damit so schwer wie die Eisernen (Ausspreche Lob und Anerkennung dafür an dieser Stelle). Der HSV hat da ja den unseligen Vorarbeiter gespielt mit seiner einstmaligen AOK, sorry , AOL-Arena. Und so werden uns die Trolli-Arenen, die Signal-Iduna-Parks und all die Commscherzbank-Spielstätten und Volksbank-Kampbahnen dieser Welt tagtäglich um die Ohren gehauen. Manch einer wechselt den Namen häufiger als  die Unterwäsche, so scheint’s. Mit dem Ergebnis, dass ich derzeit ehrlicherweise nicht weiß, wie sich das – sorry, no offence ment – Stadion an der Müllhalde gerade schimpft.

Warum in Drei-Teufels-Namen kann es nicht weiter Volkspark geheißen werden? Und wer in aller Welt zwingt meine schreibenden, radiosprechenden oder TV moderierenden Kollegen dazu, unreflektiert diese „New Names“ auch zu benutzen? Nein, nein, ich will das nicht. Zum einen, was habe ich davon? Schalten  die unternehmen Anzeigen bei meinem Blatt dafür, dass ich sie unentgeltlich erwähnen? Großes NEIN! habe ich einen persönlichen Vorteil davon? Nochmals nein!

Man kann es erwähnen. Muss aber nicht. Für mich bleibt das EasyCreditstadion weiterhin der Valznerweiher oder das einstige Frankenstadion. Ich rede von und schreibe vom ehemaligen Volkspark. Es ist die Arena AufSchalke und nicht die eines Bierbrauers. Man kann, so man denn will,  es ganz leicht umdribbeln und sich nicht vor den Werbekarren eines x-beliebigen Sponsors spannen lassen.

Das alles mit zwei, zugegebenermaßen, Ausnahmen. Die da wären die AllianzArena zu München und die O2World in Berlin. Beide  trugen schon in der Bauphase diese (Sponsoren)Namen, wurde also nicht hinterher verschachert.  Da fällt es mir doch irgendwie schwer puristisch rein von Münchner Arena zu schreiben …

Obstsalat a la Pisa!

Krypotografie ist was Feines. Man tauscht muntere Botschaften miteinander aus und freut sich diebisch, wenn das Gegenüber nur Bahnhof versteht. Nachrichtendienste verwenden nicht wenig Zeit darauf, Botschaften zu chiffrieren oder wieder zu entschlüsseln. Von hinten, von vorne. Und dann nochmal. Hollywood wäre ohne all das um einige Blockbuster ärmer. (Und die Welt trotzdem kein schlechterer Platz)

Manch Botschaft wird heutzutage viel subtiler transportiert. Bewusst offen transportiert. Abkürzungen und Initialen werden durch Zahlen ersetzt. Oder vice versa. Eine der bekanntesten Abkürzungen rund um den Fußball ist das berühmte A.C.A.B. Es steht für „All Cops are Bastards“. Oft und gerne auch als 1312 umschrieben. Dass die so Betitelten sich das wenig gern gefallen lassen und ihrerseits darauf reagieren, oft mit zur Verfügung stehender Amtsgewalt, muss nicht groß erwähnt werden.

Also mühen sich die findigen eher staatsuntragenden Kreise, im Nachfolgenden hier stelltvertretend nur Ultras genannt, ihrerseits, ihre Botschaft verschlüsselt an den Fan rüberzubringen. Und zwar ohne gleich dafür haftbar gemacht werden zu können. Gerne nutzt man dann wohlfeine Symbolbilder, die Eingeweihte schmunzelnd zu deuten wissen. Doch was sich die Herren vom Wuhlsyndikat bei unten abgebildetem als Sticker erhältlichen Obstsalat gedacht haben, lässt einen doch ein wenig ins Grübeln kommen.

FCUB ist das Bekenntnis zum Verein, zum 1.FC Wundervoll (aka 1.FC Union). So weit alles klar. Dahinter angeordnet sehen wir vier harmlose Obstsorten, die sich als äußerst freche Früchtchen erweisen sollen. Entschlüsselt ergibt sich die oben schon erwähnte Schmähung der Herren Ordnungshüter. E voila: und schon haben wir ein fein säuberliches, wohl mundendes ACAB!

Welch Einfallsreichtum. Welch genialer Gedanke. Hübsch, nicht wahr?

Dumm nur, dass das da nicht steht. Glauben sie nicht? Versuchen wir es in unserer lieben Mutterspache: Ananas wie A? Ein guter Anfang! Kokusnuss? Hm, schon irgendwie blöde. Cops enthält nun mal kein K im Wort, egal auf welchen der vier Buchstaben man auch schaut. Eine weitere Einzelfallprüfung brauchen wir nicht mehr. Es ist völlig obsolet, dass Apfel und Banane folgen. Der gewünschte Satz ist kryptologischer Unsinn.

Nun gut, wir wollen mal nicht so sein. Sicherlich wird im Englischen die gewünsche Message voll rübergebracht. Schauen wir doch mal. Und beginnen aus dramaturgischen Gründen von hinten. Banana? Perfekt. Apple? Passt auch. Coconut? Heureka! Habemus C. Das trifft sich ganz hervorragend! Und nun zum finale grande, kommen wir zum Primus dieser Reihe, kommen wir zur – Tusch – Ananas. Äh, Ananas? Ach, Ananas! Musste das denn passieren? Kannst du nicht einmal so, wie wir wollen? Denn diese schöne Südseefrucht lautet in der Sprache der Angel-Sachsen leider auf P an. P wie pineapple.

Wie schade, wie schade. So viel Einsatz. So viel Liebe zum Detail. So schöne Sticker. Aber so viel Unsinn. Ach Pisa, möchte man in seiner Verzweiflung ausrufen.

Wie meinte doch der große Heinz Erhardt? Wie nützlich ist es dann und wann, wenn man ne fremde Sprache kann.

Fersengeld

Das verflixte zweite Jahr, ich hattes anderen Ortens schon mal erwähnt. Und aus gegebenem Anlass hier ein kleines (bitte nicht zu sehr ernst zu nehmendes) Gedicht. Inspiration fand ich in kurzweiligen Redaktionsstunden  bei @alorenza

Der Fußballgot in seinem Zorn
Schickt Union jetzt nach Paderborn.
Und weil’s da keinem recht gefällt
Zahlt man dort reichlich Fersengeld

Reizender Empfang

„Sieh zu, dass du Land gewinnst.“ Hach, was war die dick eingemummte Gestalt an der Heckklappe des Lieferwagens eine Ausgeburt an Freundlichkeit. Muss noch erwähnt werden, dass er sich bei seinen Worten mächtig in die Brust warf? Meine sanfte Erwiederung, dass ich zu Schuppe wolle, um diesem „Guten Tag“ zu sagen, wurde mit einem scharfen „Besser ist das“ quittiert, ehe er mir den Rücken zuwandte. Meine dezente Nachfrage, warum er denn so agressiv sei, konnterte er mit einem „Du solltest mich mal agressiv sehen“. Wirklich, ein reizender Knabe. Und so gut erzogen.

Zumindest Schuppe, zu Berliner Zeiten in der Torstraße einst ein Kneiper meines Vertrauens, freute sich, mich zu sehen. Viel Zeit hatten wir ja nicht, rund um das Spiel des 1. FC Wundervoll an der Ostsee. Jeder hatte halt zu tun. Und meine mehr rhetorisch gemeinte Nachfrage, ob man hinterher sich noch kurz treffen wolle, wurde von einem weiteren netten Kurzhaarschnitt bevorzugendem Kerlchen mit der Feststellung, „Da habt ihr eh 1:0 verloren und du keine Lust mehr“ brüsk abgeschmettert.

Reizende Leute da im Umfeld des FC Hansa. Kein Wunder, dass sie immer wieder gern gesehene Gäste in den Stadien dieser unseren Fußballrepublik sind.

Alles langweilig, oder was?

Trainingsauftakt beim 1.FC Wundervoll. Für gemeinhin eine Angelegenheit von allgemeinem Interesse. An guten Tagen  kommen da auch mal vierstellige Truppenteile zusammen. Beispielsweise beim Debüt von Uwe Neuhaus.


Foto: Koch

Mag es auch unfair sein Sommers mit Winters zu vergleichen, gestern wähnte sich die illustre Boulevardjournalisten-Runde (inklusive meiner Wenigkeit)  im falschen Film. Dass die Mannschaft gestern mit Tross, Proband & Co. die Zahl der Kibitze überstieg, kann ja schon mal vorkommen. In der Regionalliga-Saison 07/08 wollten sich immerhin rund 40 Eiserne das Spektakel ihrer Lieblinge nicht entgehen lassen.

Doch das der Journlistenschar die Köpfe der Anhängerschaft zahlenmäßig auch hinter sich lässt, verwundert dann schon. Ganze 1,5 Fans (ein Großer und sein Kleiner) waren gestern an der nasskalten Alten Försterei dabei. Und auch da ist das reine Fandasein nicht richtig gezählt, war doch einer der beiden ein munterer Mitbetreiber eines sehr ehrenwerten Unionfan-Blogs. Mit anderen Worten, publizistisches Interesse in moderner Form war vorhanden!

Warum diese Minuskulisse? Die Ruhe vor dem Sturm? Alles nur der Festtagszeit und dem kuriosen Termin zwischen den Feiertagen geschuldet? Also den Tagen, in denen ohnehin alles den Göttern der Völlerei untergeordnet wird? Und sei es aus biologischen Gründen.

Kann eigentlich nicht so sein. Union steht ja für einen Auffsteiger blendend da. Das muss doch locken. Sollte etwa? Wird der 1.FC Wundervoll gar, man traut es sich kaum auszusprechen, … ein kleines bisschen langweilig? Mittelfeld gleich graue Maus? Ist man in Köpenick nur noch das Spektakel gewöhnt? Wie das Weihnachtssingen etwa, was ja auch bei kaum weniger günstigen Temperaturen 8000 Sangesbrüder und -schwestern an die Alte Försterei lockte.

Ist Trainer Uwe Neuhaus, ohnehin nicht als bekennender Freund der Unterhaltungsbranche bekannt, bestimmt ganz recht. In Ruhe arbeiten, möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit, so sein Credo. Panem et circensis? Nicht des akribischen Arbeiters Ding. Entscheidend ist für ihn allein auf dem Platz. Und nicht daneben. Das ist nur störend Beiwerk. „Eigentlich wollte ich heute dreieinhalb Stunden trainieren lassen, damit die Journalisten die Lust verlieren, Fragen zu stellen“, verpackte er seine Ansichten in einen  vermeintlichen Scherz.

Ha, ha. Gut gelacht. war ja auch nett da bei leichtem Nieselregen, immer noch gefrorenen Böden und zahlreichen Wasserpfützen, die die Wege säumten. Da möchte man schon mal zum Augenblicke sagen, verweile doch, du bist so schön.

Oder liegt es vielleicht auch daran, dass man die Herren Gebhardt, Biran, Benyamina & Co. zwar als formidable Fußwerker kennt. Doch die Menschen dahinter einem leicht fremd sind? Dass der manchmal ans manische grenzende Kontrollversuch, von der Schwesterzeitung hier nur am Rande gestreift, teils auch kontraproduktiv sein kann?

Wahrscheinlich von allem etwas. Es kommt halt auf die Mischung an. Profi-Fußball ist halt auch mehr als ein 1:0 auf dem Platz. Es ist ein Geschäft auf der Basis von Emotionen und Zwischenmenschlichem. Eins, das eben nicht nur aus Spieltagen und nackten Resultaten besteht.

Wenn einem St. Pauli auf den Geist geht

Ach, Mönsch. St. Pauli, alte Spaßbremse. Musste das sein? Von wegen Herz und so. Also gastfreundlich war das nun nicht, den 1. FC Wundervoll so mir-nix-dir-nix einfach mal zu vermöbeln.

Was sagst du? Selber schuld? Nur weil ich die Einlaufmelodie  nicht für voll genommen habe? Moment mal, ich hör noch mal genau hin.

Ja gut, Höllenglocken. Weiß ich doch. Aber musst du das dann gleich so wörtlich nehmen? Höllenqualen statt Freudenhäuser? Ein Törchen hätte doch völlig ausgereicht, wenn du einem unbedingt die Laune vermiesen wolltest. Ich meine, wir kamen als Freunde. Manche sogar als Blutsbrüder. Ich finde du nimmst dich einfach zu wichtig. So geht man mit Freunden nicht um. Ne, ne, ’ne Punkteteilung, das wär’s doch gewesen. Also ehrlich mal.

Und komme mir jetzt bloß nicht mit dem Spruch, ich hätte es wissen müssen. Ja, sicher ertönte Blurs Song No 2 genau in dem Moment in meinem Autoradio, als ich zwei Tage vorher für meinen Brötchengeber auf dem Weg zur Spieltagspressekonferenz des 1.FC Wundervoll gewesen bin und mich ein alter Freund und St.Pauli-Fan anrief. Ja, ich weiß, dass das euer Tor-Jingel ist. Ach, ne Warnung sollte das sein? Womöglich ebenso wie die Tatsache, dass ich ausgerechnet diesen Kumpel von mir auch noch Tags darauf in der Schwesterzeitung zitiert wieder fand.

Jetzt hör mir mal uff. Nur weil die Unsrigen zwischen den Strafräumen umherirrten, als suchten sie den Notausgang, muss man uns doch nicht gleich sechs einschenken. Was sagst du? Es waren nur drei? Ja, aber gefühlt waren es sechs. Mindestens. Wenn ich allein an die Fehlpässe denke. Die wirkten doch einstudiert. Da konnte einen nicht mal richtig trösten, dass Kenan Sahin nicht wie gewohnt umherschwalbte. Ne, dass Astra blieb einem im Halse stecken angesichts dieser Vorstellung.

Sicher, unsere Jungs hätte man nicht unbedingt in so einem Gefährt mit so einer Aufschrift nach Hamburg schicken müssen.

Das musste ja zu Missverständnissen führen. Sind ja alle jung. Und was auf Klassenfahrten so alles abgeht! Also wenn ich da an meine Schulzeit zurückdenke … Dass der Kiez immer nur mit Verlustierungen und nicht zwingend mit harter Maloche gleichgesetzt wird, war ja auch den Fußballgöttern bekannt. Na gut, Schwamm drüber. Ist nun mal passiert.

Aber wo wir mal grad so nett plaudern. So richtig Traditionsbewusstsein ist bei euch wohl auch nicht verbreitet, was? Uns 1919 Karten nach Berlin zu schicken. Neun weniger hätten es auch getan und ihr wärt alle mal wieder für eure Guerilla-Marketing-Aktionen bewundert worden. Was ich damit meine? Na kuck dir doch mal euer Logo genauer an. Verstehste jetzt? Steht doch dick und fett drauf!! Also ein bisschen schwer von Kapee biste heute schon. Ganzen Tag schon. Aber das hatte ich dir altem Spielverderber ja schon weiter oben mitgeteilt.

Und wenn ich schon mal am Meckern bin. Dass ihr Weltpokalsiegerbesieger euer schönes Kleinod, also die wunderbare manuelle Anzeigetafel, jetzt schnöde in den Katakomben der neuen Südtribüne versteckt, geht ja nun mal gar nicht. Nur weil ich in die Mixed-Zone rein darf, kann ich sie hier noch mal allen Interessierten vorführen. Die wurde echt vermisst. Also ich sag dir eins, bei uns in der Alten Försterei habe wir das besser gelöst.

Aber eins muss man euch dann doch lassen. In punkto soziales Engagement macht euch keiner was vor. Jetzt wo alle Welt angesichts von Bildungsnotstand und Pisa-Studien nach mehr Finanzmitteln für die Schulen und Unis schreit, macht ihr Nägel mit Köpfen. Einfach mal die alte Haupttribüne abgerissen und schon kann das darbende Wirtschaftsgymnasium dahinter seine schnöden Klassenzimmer als VINF-Logen, also als Very-Important-Normal-Fan-Logen, vermieten und seine chronisch unterfinanzierten Lehrmittel und Lehrkörper aufbessern. Das nenn ich doch mal ne gute Tat.

Aber alles in allem: echt kein schöner Ausflug. Und wenn ihr so weiter macht, können wir nächstes Jahr nicht mal zu Besuch vorbeikommen. Dafür haben wir dann die pucklige Alte Tante aus dem Westen zu Gast. Also schön ist das nicht. Und du, du bist mit dran schuld. Also zum Teil. Irgendwie. Ach, was weiß denn ich.

Irgendwie habe ich jetzt das dumpfe Gefühl, ich bin hier noch was schuldig. Ach klar, die Überschrift. Hier ist sie.

Von weißen Tauben und roten Plätzen

„Ich hol‘ dich dann um 10 Uhr ab.“ Jau, das klang doch mal nach ’nem Plan. Schön noch bei den weißen Tauben von Paloma die Jungs von der Adolf-Jäger-Kampfbahn ankucken gehen, bevor ich dann dienstlich ein Stück weiter südwestlich am Millerntor dem 1.FC Wundervoll beizuwohnen gedachte. Dass man sich den Gang dorthin hätte sparen können, ist heutigen Datums keine News mehr und daher dazu später mehr an anderer Stelle.

Adolf! Jäger! Kampfbahn! Das klingt nach guter, alter Zeit. Das ist Musik in den Ohren echter Fußball-Anhänger. Keine Wischi-Waschi-Arena. Kein Kommerz-Tempel. Keine Klatschpappen. Herrlich. Und einen bunten Haufen Verrückter als Anhänger, die als Freunde des gepflegten Rumprollens und munteren Pöbelns am Rande lautstark auf sich aufmerksam machen hat der AFC ja auch noch. Fußballherz, was willste mehr?

Na zum einen, dass man den altbekannten Unterschied zwischen Theorie und Praxis nicht vernachlässigen sollte. Denn die Idee war gut, nur ich noch nicht reif. Zumindest nicht an diesem Sonntag morgen, als mein Handywecker mich mit zunehmender Boshaftigkeit, aber umso nachhaltiger daran erinnerte, dass ich doch aufzustehen hätte. Und dies gemäß dem alten Zauberwort mit den zwei „t“ gar flott!.

Das freundliche „Man, siehst du Scheiße aus“, das mir zur Begrüßung nebst einem schwarz-weiß-roten Schal entgegenfleuchte, besserte meine Laune nur unwesentlich auf. Scheiße, Scheiße, Scheiße! Wer von meinen zahlreichen verstörten Egos war nur auf diese total super-dufte-grandiose Idee gekommen, am Abend zuvor nach Dienstschluss unbedingt noch nach Hamburg eilen zu wollen? Und das alles nur, um an der Einweihungsfete eines guten Kumpels und St.-Pauli-Fans teilzunehmen? Als ich dort eintrudelte, wurde die Party leerer. Ich widmete mich daher gleich dem Kühlschrank, denn der war noch gut gefüllt. Eine Aufgabe, die die Verbliebenen dort alle sehr ernst nahmen. Und erst als das Kühlgerät so gegen 4 Uhr morgens eine standesgemäße Leere erreicht hatte, gaben wir uns mit dem Werke zufrieden. Weil wir sahen, dass es gut war. Bis zum Anpfiff am Millerntor, war ja für die meisten noch etwas hin.

Tja, nur für mich ja nicht. Toller Plan. Fussi kucken gehen zu nachtschlafender Zeit. Immerhin, die Anhänger des AFC wurden ihrem Ruf als Spaßvögel zum Glück gerecht. Irgendwo auf dem Kiez hatten sie bei ihrem Anmarsch aus ihrer Pinte einen Trenchcoatträger undefinierbaren Alters mit wackligen Beinen aufgegabelt, dessen Mantel-Rückseite nun mit lustigen Stickern verziert wurde. Was diesen aber nicht störte, weil er es nicht mitbekam. Mein freundliches, aber bestimmtes Nein, als die wandelnde AFC-Litfaßsäule mich um eine Zigarette angehen wollte und nicht weiter als bis zum „Haste mal …“ kam, beschäftige ihn dann aber doch. Irgendwo in seinem oberhalb der Schultergegend angesiedeltem Arbeitsspeicher rappelten ein paar Synapsen und er nach ein paar unmotivierten Läufen entlang der Gegengrade wieder auf mich zu: „Sach ma, bist du aggressiv?“ In allerletzter Sekunde unterdrückte ich die natürliche Regung, ihm ein  „Verpiss dich du Arschloch, ehe ich die die Gräten breche“ entgegen zu feuern, presste ein geknurrtes „Nein, lass mich in Ruhe“ zwischen meinen trockenen Lippen hervor und wandte mich der kleinen Holzbude zu, die mit frischen Brötchen und totem Tier vom Grill den rund 300 Besuchern die Gaumen zu kitzeln gedachten. Nach dem Einwurf einer in Farbe und Form fast genau, aber nicht ganz präzise an Kaffee erinnernden Flüssigkeit (bestimmt hatte da der verfluchte Eddy, der Bordcomputer der Heart of Gold, seine Finger mit im Spiel?) hellte sich meine Laune zusehends auf. Mittlerweile gelang es mir die Formen in meiner Umgebung schon wieder recht gut zuzuordnen. Auf den sofortigen Einwurf eines Konter-Bieres konnte verzichtet werden. Wenigstens was.

Betrachteten wir also die Umgebung mit aufkeimender Lebensfreude, die in einem umgekehrt reziproken Verhältnis zu meinem Rest-Alkoholpegel standen. Werners Eiche war auch da. Gleich am Eingang. Auch wenn keiner wirklich Augen für dieses Kleinod hatte. Dann war da dieser Matsch gewordene Ascheplatz, auf dessen rot-braunem Untergrund sich die beiden fleißigen Oberligisten gar hingebungsvoll tummelten und die hohen Absätze der Spielerfrauen im aussichtslosen Kampf gegen Durchnässung und Verfärbung sich so tapfer reinbohrten. Daneben eins von den Sagen umwobenen und vom DFB in seiner so typischen Bescheidenheit auch nur in epischer Breite angepriesenen Minispielfeldern. Die Eintrittskarte war auch große Klasse. Eine Abrissrolle wie früher im Kino, hier nun mit dem Wappen des HFV versehen. Hach!

Die mit dem AFC sympathisierenden Gestalten, an dessen Rande sich auch einiges rot-weißes Zaunvolk aus Berlin eingefunden hatte,  sparten neben allerlei Gesang und an Urzeitmenschen ähnelnden Geräuschen auch nicht mit Anregung, wie denn der Herr Unparteiische seine Pfeife einzusetzen hätte. Auch über die bessere Handhabung des Winkelementes wussten sie dem Schiedsrichter-Assistenten den einen oder anderen Vorschlag zu unterbreiten. Wollte dieser aber partout nicht annehmen. Versteh‘ echt nicht, warum?

Und Tore hatte es auch. Hüben wie drüben. Gar fünf an der Zahl. Und  alle so angebracht, dass sie auch im Netz landeten (‚tschuldigung, kleiner an Otto W. aus E. angelehnter Scherz). Nö, war unterhaltsam. Und die letzte Bude vor der Pause hätte es bestimmt in die Auswahl zum Tor des Monates gebracht, so man denn nur in einer der monetär befriedeten Fernsehligen verweilt hätte. Ein herrlicher Freistoß mittenmang ins Dreiangel. Fein, fein. Auch wenn er für die Kampfbahn-Kumpels auf der falschen Seite angebracht wurde.

Mehr bekamen wir dann leider doch nicht mehr mit, weil getrieben von dem Wunsch, den Kampf der Kiez-Kicker zu sehen, wir zur Halbzeit unsere Zelte beim gastlichen USC abbrachen. Das wir sogar alle Tore des Tages gesehen hatten, war aus AFC-Sicht natürlich enttäuschend. Aber beruhigte uns ex eventu, dass wir nichts mehr verpasst hatten. War vielleicht doch nicht so übel gewesen. Der ganze Plan meine ich.

Ich bin aufgeregt

Ab geht es. Nach Moskau. Gestern habe ich verzweifelt meinen Reisepass gesucht. Nirgends lag er. Vor allem nicht da, wo er sonst vor sich hin ruht. Himmel hilf. Was für eine Blamage. Da schickt mich mein Laden für horrendes Geld gen Osten, und nun droht die Reise 24 Stunden vor Abflug an meiner eigenen Schusseligkeit schon zu scheitern. Wie bringe ich das nur @alorenza, also meinem Cheffe bei?

Wann hatte ich dieses komische weinrote Teil denn zuletzt? Beim Beantragen des Visas. Visum? Beantragen? Momentmal, da war doch was. Ich musste ihn doch einschicken.

Klasse, mal wieder umsonst aufgeregt. Ich kriege ihn doch heute am Fraport wieder in die Finger. Gut, dass keiner weiß, wie blöde ich mich manchmal anstelle.

Also ab. Morgen/heute früh. Union, Union sein lassen. Ist auch besser so. Regt mich ohnehin gerade tierisch auf, dass irgendwelche Leute, die in den gefühlt letzten 30 Jahren ihre Kohle woanders verdient haben, mit jetzt erklären und vorschreiben wollen, wie mein Verein tickt. Zu ticken hat! Mal abgesehen von irgendelchen Praktikanten, die keine Ahnung von Pressearbeit haben und bis vor drei Monaten nicht mal wussten, wie Eisern eigentlich buchstabiert wird. Aber das sind halt jetzt die Macher.

Tempora mutantur …

Egal ich habe sie alle überlebt. Präsis, Trainer, Markentnder, Geschäftstellenmitarbeiter, Spieler, Ärzte. Alles.

Doch zurück zum Anfang. Frei nach Dschingis Kahn: Moskau, Moskau, spiel die Russen an die Wand, Deutschlanbd ist WM-fahr-Land.

Hatte ich schon gesagt, dass ich aufgeregt bin. Ich mein ja nur. Russisch kann ich nämlich auch nicht.

Szenen meines Lebens VI

„Wie kannst du eigentlich?“  In der Stimme des Kollegen schwang ein Unterton mit, der zwischen aufrichtiger Empörung und ehrlichem Unverständnis hin und her pendelte. „Du bist doch sonst so für die Kleinen.“

Mit den Kleinen meinte der hochgeschätzte Kollege nicht die einstmals von Berti Vogts so titulierten Länderauswahlen schwächerer Nation, sondern den FC St. Pauli. Und natürlich auch den 1. FC Wundervoll, von dem hier ab und zu schon mal die Rede war.

Mit letzterem beschäftige ich mich ja seit ein paar Jahren. Genauer gesagt seit etwas mehr als einer Dekade. Und wenn man da so tut – und bei mir ist das ja auch hauptberuflich der Fall – bleiben dir nur zwei Möglichkeiten offen: Du hasst ihn. Oder du fängst an, dich zu verlieben. Und zwar so, wie es Altmeister Nick Hornby einst formulierte: „Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: Plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden.“

Aber dies heute ist ja nicht eine Geschichte über den 1. FC Wundervoll. Sondern es geht um was anderes. Um jemanden ganz anderen. Um den FC Bayern München. Ja, ich bin Bayern-Fan. Doch das kommt nicht von ungefähr.  Ich wurde plötzlich und unvermittelt zum Fan des (heuitigen) deutschen Rekordmeisters. Ich verliebte mich ohne Vorwarnung in meiner Jugend unbeschwerten Tage. Und sollte damals nicht ahnen, dass eine Menge Schmerz auf mich zukam. Ja, richtig gelesen. Schmerz! Plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken. Denn ich, und damit schließt sich der Kreis zu den Kleinen, bin ein Misserfolgsfan. Ein Misserfolgsfan des FC Bayern. Geht nicht, sagen sie? Und ob das geht!

Denn meine erste bewusste Wahrnehmung des deutschen Vorzeigeklubs war unschön. Mein Altvorderer war ob seiner Jugendzeit und des mehrfach genossenen Anblickes der Herren Seeler (Uwe und Dieter), der Dörfels & Co. HSV-Fan geworden. Ich sympathisierte mehr mit St. Pauli. Was weniger einer Kenntnis des Kicks noch kindischem Trotz geschuldet war, als vielmehr der Freundschaft zu einem im nahen Hamburg lebenden, ein Jahr älteren Freund. Der Michi spielte damals nämlich in der Jugend des Kiezklubs. Und ich, voller Bewunderung für den Älteren und am Ball so Geschickten, war Feuer und Flamme für die Jungs vom Millerntor.

Doch dann eines Tages, so kurz nach der WM 1974, die ich eher so semi-mäßg mitverfolgt hatte (ich weiß bis heute nicht, ob ich das Finale wirklich am Fernseher gesehen habe oder nicht), saß ich nach dem samstäglichen Bade mit meinem Vater vor der Sportschau. Es störte noch kein „Guten Nabend allerseits“, der pure Ball rollte kompakt über die Mattscheibe. Und ich verfolgte fassungslos das Ergebnis des ersten Spieltages: Es lautete Kickers Ofenbach 6, der Gegner 0! Mitleid erfasste mich mit diesem Team, das da eben so brutal verprügelt worden war. Was wusste ich schon von Schäfers Winnie, von Siggi, „dem“ Held-igen, oder gar Erwin Kostedde, der der erste dunkelhäutige deutsche Nationalspielerwerden sollte. Ich hielt ehrlichen Herzens zu den Unterlegenen. Zu dem Klub, von dem ich noch wochenlang im Brustton der Überzeugung sagen würde, es wäre der FC Bayern Mönchengladbach gewesen, der da so eine Abreibung verpasst bekommen hatte.

Dass der FC ruhmreich zu München gerade einen Dreifachtriumph in der Bundesliga hinter sich hatte, dass er als erster deutscher Klub den EC I – aka Europapokal der Landesmeister – nach Deutschland geholt hatte, war mir unbekannt. Dass sie ihn sich im Laufe der Spielzeit 74/75 noch ein weiteres Mal sichern würden, bekam ich kaum mit. Mein ehrenwerter alter Herr, ein preußisch-korrekter Beamter, stopfte mich des Abends immer zeitig ins Bett. Und so bekam ich die Spiele – so sie denn überhaupt im TV zu bewundern – nicht wirklich mit.

Ich war aber begeistert vom Fußball, übte ihn all jener Leidenschaft aus, zu der ein unbedarfter 8-Jähriger halt fähig war. Ich war viel zu klein für die allzu kräftige dörfliche Landjugend, technisch unbegabt und zu ungeduldig. Kurz ich konnte nicht kicken. So wurde ich – welch Schmach – beim Spiel mit den Straßenjungs immer als Letzter gewählt (wofür ich aber immer live den Radiokommentator geben musste. Darauf bestanden sie alle. Und es war vielleicht schon ein Fingerzeig für meinen späteren Berufswerdegang. Wenn ich nicht draußen voller Inbrunst dem runden Leder nachkommentierte, spielte ich mit meinem Subboteo ganze Meisterschaften nach. Ich bastelte Tabellen und füllte sie freudvoll und mit einer Akribie aus, derer mein Klavierlehrer froh gewesen wäre. Und was für tolle Mannschaften tobten bei mir durch die Bundesliga. Tennis Borussia Berlin, RW Oberhausen. Der Wuppertaler SV. Ja sogar  Barmbek-Uhlenhorst! (Dass ich mit denen später noch mal eine Begegnung im RL haben sollte, ist eine andere Geschichte und soll ein ander Mal erzählt werden). Und natürlich spielte auch der FC Bayern mit. Muss noch erwähnt werden, dass er die zahlreichen Schlachten stets für sich entscheiden konnte? Mit so realitätsnahem Ergebnissen wie 7:4, 9:1 oder 3:2. Nach 0:2-Rückstand versteht sich.

Und dies ganz im Gegensatz zu den realen Münchnern. Die dümpelten in der Liga vor sich hin, lagen zur Halbserie kurz vor einem Abstiegsplatz. Es war wahrlich kein Vergnügen, den Kicker zu studieren, um den ich mich, kaum aus der Schule nach Hause geeilt, zwei Mal die Woche mit meinem Altvorderen balgte, wer ihn denn zuerst lesen dürfte. Mein Herr Vater gewann meist. Und sei es mit dem Argument, er hätte ihn schließlich bezahlt.

Nun ja. Konnte ich nix gegen vorbringen. Ich saugte die Informationen halt etwas später auf. Egal wie unschön sie sich auch darstellen mochten. Und davon gab es anno 74/75 viele. Es ging ein späterer Altmeister, der heute beim DSF seinen Rotwein verdient, es kam ein Napoleon.

Was nicht kam, war der Erfolg. Kein Trost für meine Tränen. Rang 10 zum Abschluss, alles andere als ein Ruhmesblatt. Dass dieser Tiefpunkt drei Spielzeiten später noch locker zu unterbieten war, hielt mich nicht davon ab, dem Klub weiter die Treue zu halten. Mir doch egal, wenn all die anderen Jungs von den Mönchengladbachern schwärmten, deren Vorname, das wusste ich jetzt dann doch, Borussia lautete und nicht Bayern.

Ich liebte und ich litt. Lange, lange Jahre. Der Kaiser flüchtete nach New York. Der Uli Hoeneß bekam seine Knie nicht mehr in Ordnung und nebenbei eine Glatze. Gerd Müller trank lieber bei den Fort Lauderdale Strikers. Eine gewisse Rummelfliege trieb ihr Unwesen und ward noch nicht zu dem Stürmer gereift, der ihn zu zwei Vizeweltmeisterehren führen sollte. Peinliche Pokalpleiten zu Hause gegen Osnabrück (4:5 am 23.09.1978) erschütterten mich nicht. Ich blieb im Glauben fest.

Und wurde dann doch endlich, endlich belohnt. 1980 war es dann soweit. Nach sechs Jahren der Titelabstinenz ging die Salatschüssel endlich mal wieder nach München. Meine schier ewig andauernde Leidenszeit war vorbei. Sechs Jahre waren für einen kleinen Jungen, der den Klub und das Spiel liebte, eine verdammt lange Zeit.

Da habt ihr es also. Ich bin ein Bayern-Fan. Bis heute. Aus tiefster Überzeugung. Aber geboren wurde ich im Kummer, lange wandelnd am Rande des Abgrunds. Und stets übergossen mit dem Spott derer, die den Fohlen huldigten oder es „nordisch by nature“ mit dem HSV und Kevin Keagen hatten.