Die Dinosaurier werden immer trauriger

Nun ist es also doch passiert. Unglaublich. Der Abstieg des HSV, der ewige Dino, muss runter din die Hölle der 2. Liga. Unfassbar.

Ähnlich unfassbar war ich mir heute selber. Beim Betrachten der Liga-Konferenz erwischte ich mich immer wieder dabei, dass ich jedes Tor der Wolfsburger verfluchte, den Ausgleich der Gladbacher nicht haben wollte. Ich wollte das Wunder von der Elbe.Iicchhh?  Ja, tatsächlich.

Dabei hatte ich doch zu Saisonbeginn alles darauf gesetzt, dass meine Eisernen in der Relegation gegen die Rothosen die Uhr abstellen würden. Wenn einer dann wir, da wir ansonsten in der Relegation n immer verkackt haben. So ein bisschen ausgleichende Gerechtigkeit des Fußballgottes. Und wir hätten unseren Platz in der Ligageschichte sicher gehabt, als der Klub, der die Raute versenkt.  Hamburg, meine Perle!

Ich war immer für St. Pauli. Das HSV-Stadion lag irgendwo am Arsch. Und Freude hatte ich nie beim langen Marsch. Witze über den HSV hatten mir stets nicht übel Freude bereitet. Die Artikel des Postilons nach mühsam überstandenen Relegationsrunden mit falschen Pfiffen une viel Geschrei, dass der HSV schon wieder die Qualifikation für die 2. LIga verfehlt hätte, hatten mir des Öfteren ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, Wenn der altehrwürdige Europapokalsieger von 1983, der uns mit seinem „Wer wird Deutscher Meister“ einst ohrwurmmäßig gequält hatte, überhaupt gesunden konnte, seinem langen Siechtum entfleuchen, dann brauchte er einfach einen Neuanfang in Liga zwei. Auf die Gefahr hin, den 60er-Weg zu gehen oder Lautern nachzueifern.

Und nun drückte ich dem HSV die Daumen?

Zum Teil kam es natürlich daher, dass der VfL Radkappe für sein Schmierentheater der letzten Jahre inklusive Dieselgate und Financial-Misplay auch bestraft gehört hätte. Das Schönste an Golfsburg ist nun einmal der ICE-Anschluss.

Ein bisschen war es auch meinem alten Herren geschuldet. Der war seit seiner Studentenzeit glühender hSV-Fan. Damals in 60ern, als St. Pauli ein normaler Stadtteilverein und kein Kultklub war. Das kam erst mit der Hafenstraße und Volker Ipping und Konsprten. Also viel, viel später. St. Pauli war nichts anderes als BU, Altona 93 oder Vorwärts Wacker. Vom Campus rüber zum Rothenbaum war es ein Katzensprung. Und was sollte man da anderes werden, als HSV-Fan, wenn man den Seeler-Brüdern, – ja liebe Kinder, davon gab es zwei, den Erwin und den Uwe – den Geschwistern Dörfel oder World-Cup-Willi Schulz zusehen konnte beim Übungsbetrieb. Schwer litt mein werter Herr Papa in den letzten Jahren und in dieser Saison noch ein bisschen mehr.

Aber der Hauptgrund war, dass es mir irgendwie imponierte, wie die Jungs da nicht aufgaben. Wie ein unbekannter Fußballlehrer namens Titz einem Totgesagten auf einmal wieder Leben einhauchte. Wie Rückschläge weggesteckt wurden und dann auf einmal am letzten Spieltag doch noch eine klitzekleine Cahcne da war.

So etwas mag ich als Fußballromantiker-

Nun geht es also zwei Mal in der kommenden Spiezeit an die Alster. Das mag ich allerdings auch.

 

Alte Meister

Foto: Matze Koch

Wie jetze? Der Otto mag nicht mehr? Also Klassiker zitieren? Schade eigentlich. Wo doch allein schon seine Verpflichtung hochgradig nach Goethes Faust roch („Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?“ – „Bin weder Fräulein, weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehn.“). Aber lassen wir das. Er will halt nicht mehr. Wird bei seinem Sendungsbewusstsein, aber eher kaum der bei der Gauck-Wahl fälschlich angewandten Heine-Adaption („Denke ich an Bayern in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“) geschuldet sein. Denn der gute Heinrich H. wurde nicht von den Feinden um seine wohlverdiente Ruhe gebracht. Er sprach nicht von Frankreich, England oder Russland, sondern von seinem Vaterland, welches in munterer Kleinstaaterei vor sich hindilitierte. Aber lassen wir das, Otto hat das bestimmt gewusst. Und zu sagen, frank und frei, dass ihn Hertha NullSechs um den Schlaf gebracht habe, hätte ja nur wieder die Kritikaster auf den Plan gerufen. Von wegen „Flinte ins Korn werfen“ und so.

Halten wir fest. Er will nicht mehr. Und kommen wir zurück zu „schade“. Wenn er nicht will, dann müssen wir halt. Und da er ja mal wieder gewonnen hat, man trotz des Tabellenplatzes nicht mehr despektierlich von König Otto, dem Vorletzten hämen kann man getrost beide Varianten anwenden, ohne übermäßig der Schadenfreude geziehen zu werden. Los geht’s.

Steuermann Rehhagel

Otto Rehhagel!
„Wer ist Otto Rehhagel?“
„Otto Rehhagel war unser Steuermann,
aushielt er, bis die Hertha das Ufer gewann,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron‘,
er  hielt uns oben, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.“

Und weiter im Text:

Der Ring des Ottokrates

Er stand auf seines Daches Zinnen,
Er schaute mit vergnügten Sinnen
Auf all seine Ottonen hin.
„Dies alles ist mir untertänig,“
Begann er gar, der Otto-König,
„Gestehe, dass ich glücklich bin.“

Den hier hätten wir auch noch, passend für einen Mann der von sich sagt, dass seine Pläne immer richtig sind:

Erl-König Otto

Wer reitet so spät im LIga-Wind?
Es ist der Otto nebst Hertha-Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? –
Siehst, Vater, du den Abstieg nicht?
Den Erlenkönig mit Kron‘ und Schweif? –
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.

Und falls es am Ende nicht langt, hier noch „zwei kleine Nachrufe“

Der Pottonter

Sein Blick ist angesichts der Tabelle
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob’s noch tausend Spiele gäbe
und hinter tausend Spielen keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

und:

Der Handschuh

In seinem Stadiongarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Otto,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und droben auf hohem Balkone
Die VIPs beim Risotto.

Und wie er winkt mit dem Finger,
Auf tut sich der weite Zwinger,
Und hinein mit bedächtigem Schritt
Ein blau-weißer Kicker tritt,
Und sieht sich stumm
Rings um,
Mit langem Gähnen,
Und schüttelt die Mähnen,
Und streckt die Glieder,
Und legt sich nieder.

Und der Gegner in schnellem Lauf
Fegt durch den furchtbarn Zwinger
Mit festem Schritte,
Und aus der blau-weißen Mitte
Nimmt er die Punkte mit keckem Finger.

Und mit Erstaunen und mit Grauen
Muss die alte Dame den Abstieg schauen,

Nur Otto hält oben sein Gesicht:
»Den Dank, Dame, begehr ich nicht«,
Und verlässt sie zur selben Stunde.

 

 

 

 

 

Szenen meines Lebens VI

„Wie kannst du eigentlich?“  In der Stimme des Kollegen schwang ein Unterton mit, der zwischen aufrichtiger Empörung und ehrlichem Unverständnis hin und her pendelte. „Du bist doch sonst so für die Kleinen.“

Mit den Kleinen meinte der hochgeschätzte Kollege nicht die einstmals von Berti Vogts so titulierten Länderauswahlen schwächerer Nation, sondern den FC St. Pauli. Und natürlich auch den 1. FC Wundervoll, von dem hier ab und zu schon mal die Rede war.

Mit letzterem beschäftige ich mich ja seit ein paar Jahren. Genauer gesagt seit etwas mehr als einer Dekade. Und wenn man da so tut – und bei mir ist das ja auch hauptberuflich der Fall – bleiben dir nur zwei Möglichkeiten offen: Du hasst ihn. Oder du fängst an, dich zu verlieben. Und zwar so, wie es Altmeister Nick Hornby einst formulierte: „Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: Plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden.“

Aber dies heute ist ja nicht eine Geschichte über den 1. FC Wundervoll. Sondern es geht um was anderes. Um jemanden ganz anderen. Um den FC Bayern München. Ja, ich bin Bayern-Fan. Doch das kommt nicht von ungefähr.  Ich wurde plötzlich und unvermittelt zum Fan des (heuitigen) deutschen Rekordmeisters. Ich verliebte mich ohne Vorwarnung in meiner Jugend unbeschwerten Tage. Und sollte damals nicht ahnen, dass eine Menge Schmerz auf mich zukam. Ja, richtig gelesen. Schmerz! Plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken. Denn ich, und damit schließt sich der Kreis zu den Kleinen, bin ein Misserfolgsfan. Ein Misserfolgsfan des FC Bayern. Geht nicht, sagen sie? Und ob das geht!

Denn meine erste bewusste Wahrnehmung des deutschen Vorzeigeklubs war unschön. Mein Altvorderer war ob seiner Jugendzeit und des mehrfach genossenen Anblickes der Herren Seeler (Uwe und Dieter), der Dörfels & Co. HSV-Fan geworden. Ich sympathisierte mehr mit St. Pauli. Was weniger einer Kenntnis des Kicks noch kindischem Trotz geschuldet war, als vielmehr der Freundschaft zu einem im nahen Hamburg lebenden, ein Jahr älteren Freund. Der Michi spielte damals nämlich in der Jugend des Kiezklubs. Und ich, voller Bewunderung für den Älteren und am Ball so Geschickten, war Feuer und Flamme für die Jungs vom Millerntor.

Doch dann eines Tages, so kurz nach der WM 1974, die ich eher so semi-mäßg mitverfolgt hatte (ich weiß bis heute nicht, ob ich das Finale wirklich am Fernseher gesehen habe oder nicht), saß ich nach dem samstäglichen Bade mit meinem Vater vor der Sportschau. Es störte noch kein „Guten Nabend allerseits“, der pure Ball rollte kompakt über die Mattscheibe. Und ich verfolgte fassungslos das Ergebnis des ersten Spieltages: Es lautete Kickers Ofenbach 6, der Gegner 0! Mitleid erfasste mich mit diesem Team, das da eben so brutal verprügelt worden war. Was wusste ich schon von Schäfers Winnie, von Siggi, „dem“ Held-igen, oder gar Erwin Kostedde, der der erste dunkelhäutige deutsche Nationalspielerwerden sollte. Ich hielt ehrlichen Herzens zu den Unterlegenen. Zu dem Klub, von dem ich noch wochenlang im Brustton der Überzeugung sagen würde, es wäre der FC Bayern Mönchengladbach gewesen, der da so eine Abreibung verpasst bekommen hatte.

Dass der FC ruhmreich zu München gerade einen Dreifachtriumph in der Bundesliga hinter sich hatte, dass er als erster deutscher Klub den EC I – aka Europapokal der Landesmeister – nach Deutschland geholt hatte, war mir unbekannt. Dass sie ihn sich im Laufe der Spielzeit 74/75 noch ein weiteres Mal sichern würden, bekam ich kaum mit. Mein ehrenwerter alter Herr, ein preußisch-korrekter Beamter, stopfte mich des Abends immer zeitig ins Bett. Und so bekam ich die Spiele – so sie denn überhaupt im TV zu bewundern – nicht wirklich mit.

Ich war aber begeistert vom Fußball, übte ihn all jener Leidenschaft aus, zu der ein unbedarfter 8-Jähriger halt fähig war. Ich war viel zu klein für die allzu kräftige dörfliche Landjugend, technisch unbegabt und zu ungeduldig. Kurz ich konnte nicht kicken. So wurde ich – welch Schmach – beim Spiel mit den Straßenjungs immer als Letzter gewählt (wofür ich aber immer live den Radiokommentator geben musste. Darauf bestanden sie alle. Und es war vielleicht schon ein Fingerzeig für meinen späteren Berufswerdegang. Wenn ich nicht draußen voller Inbrunst dem runden Leder nachkommentierte, spielte ich mit meinem Subboteo ganze Meisterschaften nach. Ich bastelte Tabellen und füllte sie freudvoll und mit einer Akribie aus, derer mein Klavierlehrer froh gewesen wäre. Und was für tolle Mannschaften tobten bei mir durch die Bundesliga. Tennis Borussia Berlin, RW Oberhausen. Der Wuppertaler SV. Ja sogar  Barmbek-Uhlenhorst! (Dass ich mit denen später noch mal eine Begegnung im RL haben sollte, ist eine andere Geschichte und soll ein ander Mal erzählt werden). Und natürlich spielte auch der FC Bayern mit. Muss noch erwähnt werden, dass er die zahlreichen Schlachten stets für sich entscheiden konnte? Mit so realitätsnahem Ergebnissen wie 7:4, 9:1 oder 3:2. Nach 0:2-Rückstand versteht sich.

Und dies ganz im Gegensatz zu den realen Münchnern. Die dümpelten in der Liga vor sich hin, lagen zur Halbserie kurz vor einem Abstiegsplatz. Es war wahrlich kein Vergnügen, den Kicker zu studieren, um den ich mich, kaum aus der Schule nach Hause geeilt, zwei Mal die Woche mit meinem Altvorderen balgte, wer ihn denn zuerst lesen dürfte. Mein Herr Vater gewann meist. Und sei es mit dem Argument, er hätte ihn schließlich bezahlt.

Nun ja. Konnte ich nix gegen vorbringen. Ich saugte die Informationen halt etwas später auf. Egal wie unschön sie sich auch darstellen mochten. Und davon gab es anno 74/75 viele. Es ging ein späterer Altmeister, der heute beim DSF seinen Rotwein verdient, es kam ein Napoleon.

Was nicht kam, war der Erfolg. Kein Trost für meine Tränen. Rang 10 zum Abschluss, alles andere als ein Ruhmesblatt. Dass dieser Tiefpunkt drei Spielzeiten später noch locker zu unterbieten war, hielt mich nicht davon ab, dem Klub weiter die Treue zu halten. Mir doch egal, wenn all die anderen Jungs von den Mönchengladbachern schwärmten, deren Vorname, das wusste ich jetzt dann doch, Borussia lautete und nicht Bayern.

Ich liebte und ich litt. Lange, lange Jahre. Der Kaiser flüchtete nach New York. Der Uli Hoeneß bekam seine Knie nicht mehr in Ordnung und nebenbei eine Glatze. Gerd Müller trank lieber bei den Fort Lauderdale Strikers. Eine gewisse Rummelfliege trieb ihr Unwesen und ward noch nicht zu dem Stürmer gereift, der ihn zu zwei Vizeweltmeisterehren führen sollte. Peinliche Pokalpleiten zu Hause gegen Osnabrück (4:5 am 23.09.1978) erschütterten mich nicht. Ich blieb im Glauben fest.

Und wurde dann doch endlich, endlich belohnt. 1980 war es dann soweit. Nach sechs Jahren der Titelabstinenz ging die Salatschüssel endlich mal wieder nach München. Meine schier ewig andauernde Leidenszeit war vorbei. Sechs Jahre waren für einen kleinen Jungen, der den Klub und das Spiel liebte, eine verdammt lange Zeit.

Da habt ihr es also. Ich bin ein Bayern-Fan. Bis heute. Aus tiefster Überzeugung. Aber geboren wurde ich im Kummer, lange wandelnd am Rande des Abgrunds. Und stets übergossen mit dem Spott derer, die den Fohlen huldigten oder es „nordisch by nature“ mit dem HSV und Kevin Keagen hatten.