Ich muss mal wieder zu Mutabor geh’n, einfach so, einfach so …

Heimspiele muss man gewinnen, um mal ein Analogie aus der Fußballersprache zu nehmen. Doch für die Berliner Punk-Folk-Band Mutbor hätte es bei ihrem über zwei Stunden dauernden Auftritt im Yaam beim Ostbahnhof nicht der halbstündigen Verlängerung über die klassischen 90 Konzert-Minuten gebraucht, Von der ersten Sekunde hatten sie bei ihrer Jubiläums-Tour „Euphoria“ wieder alles im Griff. Gelernt, ist halt gelernt. Und es ist kein Wunder, dass die Gruppe um Sänger Axl „Makana“ Steinhagen seit 25 Jahren ihre Fans mit ihrer abwechslungsreichen Mischung aus Ska-Punk und Folk, Reggae-Anklängen und afrikanischen Elementen konstant begeistern.

Nun gut, der Anfang war etwas zäh. 80 Minuten Wartezeit galt es zu überbrücken, das ein oder andere Kaltgetränk mehr als geplant hinunter zu spülen, ehe endlich die ersten Töne zu vernehmen waren und Vorband Les Bummms Boys sich die Ehre gaben. Alberner Name, aber richtig viel Bums dahinter. Die Rostocker Jungs um Leadsänger und Gitarrist Stüben entschädigten mit Ihrer Mischung aus Ska, PopRock und Balkan-Anklängen, überzeugten mit skurril-ironischen Texten und einem satten Trompeten- und Saxophon-Sound. Köstlich allein schon das Schlafzimmer-Outfit von Drummer „Grandma“. Mehr Mut zur Hässlichkeit geht nicht wirklich. Die Jungs von der Küste hätten einen eigenen Auftritt verdient gehabt, nicht nur als Prequel daherkommen müssen. Ihre 40 Minuten vergingen wie im Flug und manch einer hätte sich noch viel mehr gewünscht, wenn man nicht für Mutabor gekommen wäre.

Bleibt zu hoffen, dass sich Les Bummms Boys mal wieder aus ihrer mecklenburgischen Heimat in die Hauptstadt hinauswagen. Das SO36 wär keine ganz ungeeignete Location. Vielleicht noch gepaart mit der Friedrichshainer Humppa-Kult-Band „Die Wallerts“ als Double-Feature? Da wäre ein vergnügungssteuerpflichtiger Abend programmiert.

Doch dann war es endlich so weit. Schon mit den ersten Tönen von „Abgestandenes Bier“  kochte der Saal und hörte in der Folge nicht auf zu brodeln. Stage-Diving, auf Händen durch das Publikum rumsurfen – hier allerdings nur die feierwütigen Fans selber – , der klassische gezielte Männer-vs- Frauen-Chor bei einigen Refrains – alles dabei! Die altbekannten Nebenwirkung eben. Als antidepressive Ganzkörpertherapie hatte Mutabor seine Euphoria-Tour angekündigt und dabei den Mund nicht zu voll genommen. Die Füße bewegten sich von alleine und auch die Lippen schlossen sich beim sehr textsicheren Publikum keine einzige Sekunde.

Es war ein Stück weit so, wie man sich als zu spät Geborener das alte West-Berlin vorgestellt hatte. Rauchgeschwängerte Luft, Schweißperlen, Grasgeruch, ein wohliges Gefühl von Anarchie füllte den Raum, gepaart mit jede Menge guter Laune. Die gute alte Konzertzeit als Ausdruck eines Lebensgefühls – da war sie wieder. Und ja, festes Schuhwerk war unabdingbar,. Chucks oder Ballerinas sind nun nicht das passende Outfit wenn heftig gepogt und geschwoft wird.

Angenehm auch die ganze Abmischung des Abends. Wer im neueren Liedgut von Mutabor nicht so sattelfest war, wurde überraschend sanft mit auf die Reise genommen. Die Songs wurden unaufdringlich eingebettet in bekannte Hits wie „Es gibt keine Liebe mehr“, „Amsterdam“ oder „Lisa“.  So kamen einem selbst Lieder wie „Schietbüddel“ altvertraut vor, selbst wenn sie niemals zuvor vernommen worden waren.

Am Ende flogen dann endlich erwartungsgemäß die Textilien. Zum Klassiker „Lump“ präsentierte sich Axl mit freiem Oberkörper und offenbarte dabei einmal mehr einen Body, von dem sich Rammsteins auch recht körperbetont daherkommender Frontmann Till Lindemann die ein oder andere Scheibe abschneiden könnte. Mehr Ekstase geht nicht.

Manch einer wird wohl „Kelch auf Wanderschaft“, „Das Glas ist leer“ oder auch „Kanapee“ vermisst haben. Aber dazu hätte es wohl noch der zusätzlichen Verlängerung – um im Eingangsbild zu bleiben – des Elfmeterschießens gebraucht.

Wenn es überhaupt einen Wermutstropfen gibt, dann die Tatsache, dass jetzt wieder mindestens ein Jahr gewartet werden muss, ehe die volle Dosis Mutabor live in Berlin eingenommen werden kann.

Bleibt das immer so

Der erste Ton ging unter im Jubelsturm der Menge. Da stand sie nun da. Im Rampenlicht. Gefeiert von den Massen. AnNa R. Die Frau, durch die ich der Bunkine gegenüber wortbrüchig geworden bin. Werden musste. Ich hasse das. Pacta sund servanda. Und normalerweise gebe ich keine Versprechen, von denen ich nicht weiß, ob ich sie erfüllen kann.

Doch nichts von alledem tut mir leid. Denn diesmal war es wirklich nicht meine Schuld. Echt nicht.

Nun gut, man könnte mir vorwerfen dass die frühkindliche Musiksozialisation meiner Tochter völlig schiefgelaufen ist. Nur weil ihre beiden sich sonst nicht immer so einigen Altvorderen voll krass auf Rosenstolz standen, hätte man die zarten Kinderohren damit nicht malträtieren müssen. Doch da wir unseren Erziehungsauftrag nun schon einmal schmählich vernachlässigt hatten, lag nix näher, als dem Kinde das Objekt der Begierde persönlich vor Augen führen zu wollen, sprich der damals fast 10-Jährigen einen Konzertauftritt des Duos in der Freilichtbühne Wuhlheide zuzumuten.

Es war – Sie können es sich denken – ein voller Erfolg. Mochten die Augen auch fast zuklappen zu vorgerückter Stunde, die Erlaubnis die Bühne zu verlassen, ward nicht erteilt, bevor der letzte Akkord verklungen war. Endgültig angefixed, das gute Kind. Natürlich ließ mich ihre  vorgetragene Textsicherheit mit stolzgeschwellter Brust verkünden, dass wir im kommenden Jahr selbstmurmelnd ein weiteres Mal AnNa R. die Königin auf unserer Bühne sein würden lassen. Ein leichten Herzens gegebenes Versprechen, da sie Irgendwo in Berlin immer ihr Unwesen getrieben hatte, seit ich 1996 erstmals auf sie aufmerksam geworden war. Für die Bunkine war allein schon das Versprechen an sich eine – bescheiden wie sie nun mal ist – Überdosis Gück.

Es kam – Sie ahnen es aufgrund der weiter oben gemachten Ausführungen –  Anders als geplant. Sie kamen und gingen. Erst fanden die Konzerte nur unter der Woche statt, was einem Schüler jüngeren Baujahres nicht zwingend als Termin anzubieten war. Ein Hosenkonzert in der Waldbühne als Ersatz war zwar nett, aber auch nur Irgendwo dazwischen. Jedenfalls nicht AnNa und Peter. Dann  kam ein erstes Burnoutsyndrom weiblicherseits. also Anna, nicht die Bunkine. Nur einmal noch, wollten wir ihr entgegenrufen. Doch sie vernahm unser Flehen nicht.  Vielleicht auch, weil sie um unsere Existenz gar nicht wusste. Am Ende wollte dann  der Herr Plate auch nicht mehr so recht. Mittlerweil stellte sich recht unbarmherzig die Frage  Wie weit ist vorbei?.  Als Wir sind am Leben erschien, schien das zunächst als großes Versprechen. Die Hoffnung kehrte zurück. Aber eine Rückkehr auf die Bühne fand nicht statt. Und aus den ganzen Trennungsgerüchten wurde dann bittere Wahrheit. Plötzlich wacht man auf und Es ist vorbei.

Doch irgendwo ist immer Licht am Ende des Tunnels. Und  da stand ich nun vor der neuen Hoffnung. Sicher, Gleis 8 war nicht Rosenstolz. Und als ich das erste Mal die CD anhörte, war ich seltsam enttäuscht. Das war Anna. Ohne jeden Zweifel. Und doch nicht dasselbe.  Es fühlte sich falsch an. Allein schon wegen des Wettrennens, das sie und Peter sich geliefert hatten, wessen Soloprojekt denn als erstes auf dem Markt erscheinen würde. Peter legte zwar mit „Schüchtern ist mein Glück“ vor, aber es war wie immer auf den Konzerten. Einzelne Lieder waren unabdingbar. Und sei es nur, weil Anna so die nötige Zeit fand, ihr Bühnenoutfit mal wieder einem Wandel zu unterziehen. Aber Peter einen ganzen Abend lang zuzuhören, ne, das ging dann irgendwie doch nicht.

Musste ich auch nicht. Zumal mir auch der kleine Silberling von mal zu mal immer besser gefallen hatte. Und nun live. Gleis 8 waren großartig. Gitarrenlastiger als Rosenstolz.Härter. Nicht so balladesk. Was ich ja anderenortes auch schon mal beschrieben hatte. Das längst verloren geglaubte Gefühl war wieder da. Das Astra als Location perfekt. Nicht zu groß, nicht zu klein. Es hatte was von einer Retrotour. Sozusagen zurück zu den Wurzeln, als Anna und Peter in kleineren Clubs aufgetreten waren und noch nicht mühelos die Kindlbühne in der Wuhlheide füllen konnten.

Routiniert wurde sich nach überwundener Anfangsnervosität am Publikum abgearbeitet, ohne dass es sich veralbert vorkam. Kokett und sinnlich die Texte. Mal nachdenklich und dann beschwingt.  Man merkte, da standen ein paar Musiker auf der Bühne, die vor allem eins hatten: Wirklich Spaß an ihrer Arbeit. Und so ihr Publikum mitnahmen.

Auch ich erwischte mich dabei, dass ich mit dem iPhone versuchte Momentaufnahmen für die Ewigkeit zu erstellen. Wohl wissend, dass am heimischen PC das alles nicht halb so gut rüberkommt wie live und in Farbe. Selbst meine Begleitung, der deutschen Zunge als junger, gerade mal zwei Wochen ins Land eingereister US-Bürger nicht im geringsten mächtig, ist erbaut, verzichte dankend auf meine textlichen Übersetzungen, um sich allein den Rhythmen hinzugeben. Und mit jedem Lied mehr steigerte sich beim Zuhören der Wunsch, dass doch bitte, bitteschön da vorne nicht zu früh aufgehört wird.

Ein frommer Wunsch. Wer nur ein Album auf seiner Seite hat, der kann kein Füllhorn über einen ausschütten. Ist halt so. Auf alte Rosenstolz-Ergüsse wartete man daher vergeblich. Anders als eine Tarja Turunen hat AnNa R. sich nicht aus dem reichhaltigen Fundus altgedienter Songs bedient, um das Publikum auf ihre Seite zu ziehen. Aber das war ja irgendwie auch klar. Gleis 8 hatte im Vorfeld schon genug damit zu tun gehabt, diese Vergleiche möglichst weit klein zu halten. Und wenn man es unbedingt will und genug darüber weiß, dass Peter der Marketender unter den beiden und am Ende der treibende Keil in der Trennung gewesen ist, kann man „Geh mit dem Teufel trinken“ durchaus als eine Abrechnung mit ihrem alten Gspusi sehen.

Was muss sich ändern, damit alles bleibt wie’s ist?, fragt Gleis 8 in einem ihrer Songs. Eigentlich nichts. Nur weitermachen müssen sie. Und dann vielleicht auch mal mit Terminen, an der die Bunkine kann. Denn wie es der Zufall wollte, auch diesmal war sie verhindert.

Für den Papierkorb

Ja mach nur einen Plan. Und sei ein großes Licht (B. Brecht, Dreigroschenoper)

Arbeit, Arbeit, nix als Arbeit. Der geneigte Leser kennt und sieht das nicht. Er hat nur des Morgens das fertige Produkt in der Hand, kann dort schwarz auf weiß oder manchmal auch in bunt nachlesen, was sich denn anderentags zugetragen hat. Dass das, was er dort findet, nicht immer das ist, was zunächst dort hätte stehen sollen, weiß er nicht. Nachfolgend einmal ein kleiner Einblick in den redaktionellen Alltag. Aufgeführt am Beispiel eines Kommentares zum Länderspiel Deutschland vs. Schweden, welches bekanntermaßen historische Dinge hervorbrachte.

Zeit ist nicht nur Geld. Sondern im Redaktionsalltag ein himmlisches Gut. Je früher die Texte von den Außenreportern in den Redaktionsstuben eintrudeln, desto besser. Sie können in Ruhe redigiert werden. Über Überschriften kann eine Minute länger nachgedacht werden, was ihnen qualitativ zumeist gut tut. Auch das manchmal notwendige Kürzen geht ohne Hektik einer sich nähernden Deadline viel leichter von der Hand. Und noch viel wichtiger, je früher eine Ausgabe Abends fertig wird, umso höher die Auflage, die die Leserschaft auch erreicht. Denn die Vertriebswege aus der redaktion via Druckhaus und hin zum Konsumenten sind nicht immer die kürzesten … Bei Abendspielen mit der unsäglichen Uhrzeit 20.45 Uhr kommt es also auf jede Minute an.

Ergo beschloss ich in der Halbzeitpause des Schwedenspiels, meinen Laptop aufzuklappen und den Kollegen drinnen am Alex schon mal den Kommentar zukommen zu lassen. Der las sich dann wie folgt:

Ja, ich gebe s zu. Auch ich war nach der Euro enttäuscht und hatte keine große Lust mehr auf die Jungs im weißen Trikot. Vor allem, weil Jogi Löw hinterher von einem guten Turnier sprach, es partout nicht zugeben wollte, dass er es im Halbfinale verbockt hatte. Wie übrigens schon bei der WM 2010 in Südafrika. In beiden Halbfinalspielen war eine deutsche Elf zu sehen, die nicht ihr Spiel durchdrücken wollte, sondern sich nach dem Gegner richtete. Mit bekanntem Resultat.

Die DFB-Cracks und die großen Turniere, das hatte was von einem  Date mit einer schönen Lady. Man kommt sich näher, es prickelt. Man wird mit nach Hause gebeten, doch an der Tür heißt es: „Tschüss, danke für den Abend.“

Die Quali-Spiele und Testkicks bevor die Saison begonnen hatte, waren ein Muster ohne Wert. Die so gern betonte Serie von bis gestern 13 Quali-Siegen in Folge rissen einen nicht vom Hocker. Das, was zählte, wurde ja immer verpasst.

Doch gestern haben mich Klose, Özil & Co. geheilt, überzeugt, begeistert. Was sich schon  in Irland abzeichnete, erfuhr im Olympiastadion seine Fortsetzung. Es wurde auf dem Rasen gezaubert, die Stimmung war pure Fußball-Gänsehaut. Ja, man kann sich wieder mit Jogi und seinen Jungs freuen. Schlaaaaaand!

Vorausgegangen war noch eine kurze inhaltliche Diskussion mit meinem Chef, der das ganze ein klein wenig zu negativ sah angesichts einer 4:0-Führung, es dann aber achselzuckend mit den Worten „Dein Name steht drüber“ abnickte.

Ich wards zufrieden. Als Augenzeuge des Halbfinal-Aus‘ in Durban anno 2010 nagte in mir dieser Gedanke der Löw’schen Fehlerwiederhlung. Ich hatte das nirgends gelesen – was nicht heißt, dass es nicht doch einer geschrieben hatte -, und war froh, etwas, was mir in unter den Nägeln brannte, an den Mann gebracht zu haben. Zudem hatte ich den Kollegen drinnen etwas Luft verschafft und das gute Teil in Minute 60 abgeschickt. Was mir wiederum im Olympiastadion – die Wege dort sind weit zwischen Pressetribüne, Pressekonferenz in der Aufwärmhalle unterhalb des Marathontors und der dort in der nähe befindlichen Mixedzone – Luft verschaffte. Man konnte jetzt also ohne Gehetze in aller Ruhe zwei, drei Minuten vor dem Abpfiff dort hingehen, die vielen Höhenmeter leicht überwinden und zudem dem Strom der aus den Blöcken eilenden Fans entgehen. Perfekt sozusagen. Und nun lehnte ich mich ein wenig zurück, harrte der Dinge, die da kommen sollte.

Und – leider – auch kamen. 4:1 durch Ibra. Wir blickten uns an. Ein Schönheitsfehler. Nicht schlimm. 4:2? Hm, nun ja. Noch kann man den Kommentar stehen lassen. Dieser Leichtsinn, der musste im Spielbericht und in der Analyse aufgefangen werden. Heute nicht meine Baustelle.

Es kam das 4:3. Und es hätte nicht mal den Worten meines Chefs bedurft, dass der Kommentar wohl so nicht mehr ginge. Also, Laptop hochgeklappt, Ressettaste gedrückt. Info an die Redaktionsstuben, der Kommentar kommt neu. was nicht heißt, dass ich sofort eine Idee parat hatte, was ich denn schreiben wollte. Die entwickelte sich zum Glück bei den ersten Zeilen. Und nun hieß es sich sputen. Viel Zeit war nicht. Zumal die Zeilenvorgabe bei so etwas auch noch einzuhalten ist. Jede zeiel zu viel bedeutet Aufwand für die Binnenarbeiter. Kürzen ist nicht immer einfach, wenn es nicht sinnentstelend werden soll.

 

Hui, was war denn das? Die Schöne und das Biest? Zwei Gesichter zeigte die deutsche Nationalelf gestern Abend vor der stimmungsvollen Kulisse des ausverkauften Olympiastadions. Sechzig Minuten begeisterten Jogis Jungs, knüpften nahtlos an ihre Gala-Vorstellung aus Dublin an, wo sie bemitleidenswerten Iren das Fell über die Ohren gezogen hatten. Das ganze Stadion hielt gebannt den Atem an. Sollte Miro Klose womöglich mit einem Vierer-Pack den Rekord von Gerd Müller schon jetzt brechen? Aber dann …

Scheinbar angekommen im Olymp hielt Bruder Leichtfuß Einzug. An allen Ecken und Enden. Und auf einmal zeigte das Tre- Kroner-Team all die Tugenden, vor denen Löw zuvor so heftig gewarnt hatte. Mit welcher Leichtfertigkeit Schweini, Lahm und Co die Partie fast noch hergeschenkt hätten, war schon unfassbar. Es ging immer weiter im Hurra-Stil nach vorne, egal wie oft es hinten klingelte. Taktisches Unvermögenden kann man das nennen. Oder eben fehlende Reife, die schon bei der Euro in Polen und in der Ukraine den großen Triumph versagt hatte. Und nur dem Unvermögen der Schweden war es zu verdanken, dass am Ende doch noch die drei Punkte im Sack waren. Diese Torflut erfreute das Fanherz hüben wie drüben. Aber die Sorgenfalten auf der Stirn von Löw dürften bestimmt nicht kleiner geworden sein.   

Puh, Geschafft. Schweißperlen von der Stirn gewischt und in Minute 90 beim Stande von 4:3 abgeschickt. Und ja, der geneigte Leser weiß es ja, die Defekthexe schlug noch einmal in Form des schwedischen Ausgleiches zu. Lange Gesichter in den Pressereihen. Kurzer Anruf in die Heiligen Hallen, während ich im Laufschritt mich auf den Oberrängen in die Katakomben aufmachte. Beruhigende Worte von drinnen, neu schicken sei nicht nötig. sie würden das schon hinbiegen können.

So sah die endgültige Fassung aus. Man beachte den letzten Absatz, der von den Kollegen in letzter Minute noch angepasst wurde.

Und nun? Eins muss ich noch sagen. Im Grunde bin ich sogar froh über den Ausgleich. Sonst hätten wir uns nur wieder die schöne Mär von den vier Startsiegen anhören dürfen. Wenn es wirklich das von Löw propagierte Lernspiel war, dann besteht ja noch Hoffnung, dass diese deutsche Elf endlich reift und titelwürdig wird. Sonst bleibt nur die Erinnerung an einen hektischen Abend.

 

 

Das Fell des Bären

 

Ja doch, wir alle wissen, was ein Möter ist. Seit Mell Brooks Spaceballs zumindest. Halb Mensch, halb Köter. Doh jetzt bevölkert eine neue Spezies unsere geliebte Hauptstadt. Halb Mensch, halb Bär. Was ist das? Bär-Man? Kopflos am Brandenburger Tor? Oder ist das das berühmte Fell des Bären, das zerlegt wird, bevor es erjagt?

Von toten Pferden

„Wenn dein Pferd tot ist, musst du absteigen.“ Weise Worte eines, ich glaube, 13-Jährigen die mich neulich via E-Mail erreichten. Sie zeugten von Verstand einer Sache nicht länger nachzuhängen, die eh hoffnungslos verloren ist. (Vielleicht sollte ich mir davon in Sachen Liebe eine dicke Scheibe abschneiden).

Und doch stimmten sie mich nachdenklich. Sehr nachdenklich. Sie fielen nämlich im Zusammenhang mit Herthas selbstverschuldeter 1.2-Heimpleite beim Relegationsspiel gegen Düsseldorf. Und implizierten, dass man, was Fußball anginge, künftig die Seiten zu wechseln gedenke. Also weg von Blau-Weiß, hin zu Rot-Weiß. Zum 1.FC Wundervoll.

Der erste Gedanke war. Na prima. Noch ein Eventfan mehr, der die Stimmung in Köpenick irgendwann einmal  wandeln könnte. Echte Liebe hält sich aber nicht an Spielklassen oder Erfolgen fest. Right or wrong, my country! Ein Unioner steigt auf und wieder ab, auf und wieder ab. Und verkraftet das.

Hey. Es ist nie zu spät für eine Resozialisierung. Dazuzulernen ist eine Kunst. Und warum sollte ein 13-Jähriger in seinem Weltbild schon dermaßen gefestigt sein, dass er einmal getroffene Entscheidung – hier auch durch seine Mutter begünstigt, die sich lieber im Olympiastadion tummelte denn an der Alten Försterei – Zeit seines Lebens mit sich rumschleppen muss? Es muss ja noch nicht zu spät sein, diese andere Art der Fußballkultur für sich zu entdecken und lieben zu lernen.

 

 

Zippo

„Wo ist denn ihr Zippo?“ Hä? Bitte, was? Ihr habt es doch gerade durch den Scanner gejagt. Liegt doch noch in dem grauen Körbchen direkt vor ihnen auf dem Fließband. Was soll diese blöde Frage, konnte ich mir gerade noch so eben verkneifen. Denn ich ahnte bereits was auf mich zukommen würde.

War ja klar! Eine Chiquita sollte man ja auch nie Banane nennen! Also, Ntm: Ein Zippo ist ein Zippo ist ein Zippo! Und kein sti-no Feuerzeug. Was nun passieren würde, war klar wie Kloßbrühe. Zurück auf Los. Ohne 4000 Euro einzuziehen. Und da kam sie auch schon prompt, die befürchtete Bestätigung. „Gehen sie damit bitte noch mal an den Check Inn. Sie müssen die Watte und den Docht entfernen.“ Super. Zurück. Durch das ganze verfickte Gebäude. Dabei war ich so stolz auf mich gewesen. Der Boarding Pass ward am Abend zuvor schon ausgedruckt. Den Fenstersitzplatz in eine Gangreihe geändert. Falls Mann des Morgens  mal ein Wässerchen lassen müsste und so dem aufgezwungenen Sitznachbarn – diesmal übrigens eine junge Blondine – ein qualvolles Aufstehen aus den beengten Sitzplatzreihen ersparen kann. Kurz, alles ward vorbereitet für einen reibungslosen, kundenfreundlichen Schnelldurchlauf nach Düsseldorf und retour. „Hit an’ run“-Taktik vom Feinsten.

Schön ausbaldowert. Und nun dies. Meine allseits geliebte Morgenlaune besserte sich nicht wirklich. Noch mal durch die Kontrolle. Einreihen hinter all denen, die vorher nicht ihren Gürtel lösen können. Die niemals nie und nicht auch nur daran denken, ein Fitzelchen ihrer zu überprüfenden Reisebegleiter vorher aus den Taschen zu nehmen. Von Mänteln und Jacken, aus denen man beizeiten schlüpfen könnte, will ich jetzt gar nicht erst groß anfangen. Ich würde mich nachher im Flieger schon genug darüber ärgern, dass der Flugwillige sich immer erst unmittelbar vor seinem Sitz ausplünnen würde. Ein Verhalten, dass auf jeder Bundesautobahn einen mittellangen Verkehrsstau mit lustigen Rundfunkwarnmeldungen zur Folge haben würde, aber in den Fliegern dieser Welt offenbar zum guten Ton gehörte.

Der geneigte Leser lächelt nur Milde und denkt sich bereits: So ein Idiot. Wie kann ihm als weitgereisten Fahrensmann so etwas passieren im Zeitalter nach Nine-Eleven? Selber schuld! Sie haben ja so Recht. Mildernde Umstände wären vielleicht noch der erwähnten Morgenstunde geschuldet gewesen. Aber ehrlich gesagt, ich hatte mir darüber keine ernsthaften Gedanken gemacht. So gar keine. Weitere Umstände die für meine Entlastung sprachen: Das Zippo befand sich ja auch noch nicht so lange in meinem Besitz. Es war so etwas wie ein weinachtliches Abschiedsgeschenk meiner bald darauf Ex-Holden gewesen. Etwas, was ich schon immer mein Eigen hatte nennen wollte und nun mit einem Wappen eines bestimmten Klubs verziert auch hatte. Und da ich zuletzt nicht mehr Reisekader gewesen war, respektive alle Ziele mittels Kraftfahrzeug angesteuert hatte, war das sozusagen der Jungfernflug. Und ein Feuerzeug dufte man ja im Handgepäck mit sich führen. Aber, s.o, ntm: Ein Zippo ist ein Zippo ist ein Zippo. Geeignet dafür, aus seinen 22 Bausteinen eine lustige Brandbombe herzustellen, mittels der ich den Piloten dazu bewegen konnte, abeichend von der Normalroute flugs die Twin Towers des WTC anzusteuern …

Mein ohnehin leicht zu Jährzorn neigendes Naturell steigerte sich auf der nach oben offenen Erregungsskala auf einen legendären Wert, als man mir bedeutete, das gute Stück jetzt eigenhändig auseinander zu nehmen und die Watte nebst Docht entsorgen zu müssen. Es gibt angenehmere Arten, sich die Finger schmutzig zu machen als an einem frisch gefüllten Zippo. Denn das hatte ich vor meiner Abreise noch erledigt, damit mir im fernen Rheinlande bei der zu erwartenden, nervenzehrenden Partie es nicht unvermittelt an Feuer mangeln würde. Für eine Sekunde erwog ich, das Zippo mit Karacho in der am Counter hämisch wartenden Box für verbotene Flugbegleiter wie Scheren, Feilen und zusätzliche Feuerzeuge zu entsorgen. Hätte zudem den nicht unangenehmen Nebeneffekt gehabt, dass ich nicht ständig an etwas für immer Verloren gegangenes erinnert werden würde. Dann siegte doch die Vernunft. Dadurch würde ich sie auch nicht wieder zurückbekommen.

So mutierte mein Zippo für den schmalen Obolus  nur 4 Euro zum wohl kleinsten Gegenstand in der Gepäckaufbewahrung am Flughafen Tegel. Dort fand es also zwischenzeitlich Asyl. Und so denn die Lufthansa pünktlich niederkommen würde, bestand auch eine gute Aussicht, es am gleichen Abend wieder in meinen Besitz bringen zu können. Ein nicht ganz billiges Vergnügen. Doch ich war ja selber Schuld. Ein Zippo ist ein Zippo ist ein Zippo. Oder hatten wir das bereits? Egal. Das einzig Gute: Diesmal würde ich wenigstens nicht wie weiland in London in die Liste der meist gesuchten Verbrecher aufgenommen werden…

Zwiespalt der Gefühle

Ich bin hin- und hergerissen. Was soll ich von Herthas 1:4 gegen die Wölfe halten? Eigentlich bin ich ja ein großer Anhänger von Stadtderby reloaded aka Stadtmeisterschaft2.0. Doch die Häme, mit der das eiserne Lager den Niedergang der alten Dame begleitet, stößt mich ab. Sicher, Fußball ist kein Mädchenpensionat. Gesunde Schadenfreude gehört beim Spiel der Emotionen mit Sicherheit dazu. Und natürlich habe ich auch Witze gerissen. Doch, imho, ist es derzeit eher angebracht, sich eisern zurück zu halten. Schon vergessen, wie es uns zwischen 2003 und 2005 erging?

Und die Wahrscheinlichkeit, dass Hertha sich rettet, sinkt mit jedem Spieltag. Ich weiß. Auch wenn ich an anderer Stelle die Blau-Weißen noch nicht abschrieben habe. Rein statistisch gesehen haben sich seit Einführung der Drei-Punkte-Reglung 40% der Ligavorletzten noch retten können. Also sechs von 15 Teams sprangen dem Tod noch einmal von der Schippe. Im Vorjahr gelang sogar dem Schlusslicht das Kunststück. Es ist also noch nicht vorbei. Egal, wie elend es sich anfühlen mag.

Und Otto, der Fünf-vor-Zwölfte, tut mir fast leid. Dabei mag ich ihn nicht besonders. Was soll er denn jetzt anders sagen, als dass er  nicht aufsteckt? Wenn er das täte, möchte ich das Medienecho sehen, dass auf ihn einprasselt. Jetzt, wo er es nicht macht, gehen jedem die Durchhalteparolen auf den Keks.  Wie man es macht, es ist verkehrt…

Wenn ich die Situation der Charlottenburger heuer mit der vor zwei Jahren vergleiche, habe ich rein subjektiv gesehen das Gefühl, dass das Rehhagel-Team besser drauf ist. Denn es spielt – anders als die Hertha unter Wolfgang Funkel – auf Sieg. Und schon der nächste könnte sie auf den Relegationsrang spülen. Und dann wäre sogar noch mehr drin.

Funkels ewige Durchhalteparolen  („Man muss nicht jedes Spiel gewinnen“) ermüdeten, weil Hertha die ganze Zeit von hinten heraus auf Teufel komm‘ raus eine Aufholjagd starten musste, und jeder flehentlich auf den Startschuss wartete. Er wirkte wie ein großer Zauderer, der die Realität nicht wahr haben wollte. Otto ist von anderem Kaliber.

Wie gesagt, ich bin hin- und hergerissen.

Alte Meister

Foto: Matze Koch

Wie jetze? Der Otto mag nicht mehr? Also Klassiker zitieren? Schade eigentlich. Wo doch allein schon seine Verpflichtung hochgradig nach Goethes Faust roch („Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?“ – „Bin weder Fräulein, weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehn.“). Aber lassen wir das. Er will halt nicht mehr. Wird bei seinem Sendungsbewusstsein, aber eher kaum der bei der Gauck-Wahl fälschlich angewandten Heine-Adaption („Denke ich an Bayern in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“) geschuldet sein. Denn der gute Heinrich H. wurde nicht von den Feinden um seine wohlverdiente Ruhe gebracht. Er sprach nicht von Frankreich, England oder Russland, sondern von seinem Vaterland, welches in munterer Kleinstaaterei vor sich hindilitierte. Aber lassen wir das, Otto hat das bestimmt gewusst. Und zu sagen, frank und frei, dass ihn Hertha NullSechs um den Schlaf gebracht habe, hätte ja nur wieder die Kritikaster auf den Plan gerufen. Von wegen „Flinte ins Korn werfen“ und so.

Halten wir fest. Er will nicht mehr. Und kommen wir zurück zu „schade“. Wenn er nicht will, dann müssen wir halt. Und da er ja mal wieder gewonnen hat, man trotz des Tabellenplatzes nicht mehr despektierlich von König Otto, dem Vorletzten hämen kann man getrost beide Varianten anwenden, ohne übermäßig der Schadenfreude geziehen zu werden. Los geht’s.

Steuermann Rehhagel

Otto Rehhagel!
„Wer ist Otto Rehhagel?“
„Otto Rehhagel war unser Steuermann,
aushielt er, bis die Hertha das Ufer gewann,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron‘,
er  hielt uns oben, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.“

Und weiter im Text:

Der Ring des Ottokrates

Er stand auf seines Daches Zinnen,
Er schaute mit vergnügten Sinnen
Auf all seine Ottonen hin.
„Dies alles ist mir untertänig,“
Begann er gar, der Otto-König,
„Gestehe, dass ich glücklich bin.“

Den hier hätten wir auch noch, passend für einen Mann der von sich sagt, dass seine Pläne immer richtig sind:

Erl-König Otto

Wer reitet so spät im LIga-Wind?
Es ist der Otto nebst Hertha-Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? –
Siehst, Vater, du den Abstieg nicht?
Den Erlenkönig mit Kron‘ und Schweif? –
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.

Und falls es am Ende nicht langt, hier noch „zwei kleine Nachrufe“

Der Pottonter

Sein Blick ist angesichts der Tabelle
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob’s noch tausend Spiele gäbe
und hinter tausend Spielen keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

und:

Der Handschuh

In seinem Stadiongarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Otto,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und droben auf hohem Balkone
Die VIPs beim Risotto.

Und wie er winkt mit dem Finger,
Auf tut sich der weite Zwinger,
Und hinein mit bedächtigem Schritt
Ein blau-weißer Kicker tritt,
Und sieht sich stumm
Rings um,
Mit langem Gähnen,
Und schüttelt die Mähnen,
Und streckt die Glieder,
Und legt sich nieder.

Und der Gegner in schnellem Lauf
Fegt durch den furchtbarn Zwinger
Mit festem Schritte,
Und aus der blau-weißen Mitte
Nimmt er die Punkte mit keckem Finger.

Und mit Erstaunen und mit Grauen
Muss die alte Dame den Abstieg schauen,

Nur Otto hält oben sein Gesicht:
»Den Dank, Dame, begehr ich nicht«,
Und verlässt sie zur selben Stunde.

 

 

 

 

 

Szenen meines Lebens X

Alles neu, macht der Mai. Auch wenn wir jetzt schon den Juni haben. Aber früher fingen die Eisernen nun mal  nicht an, dem Spielgerät übenderweis nachzujagen. Also ward ihre schmucke Kollektion auch nicht früher zu bewundern. Doch ich staunte nicht schlecht, als ich nicht nur trendige, neue  Klamottten von Neu-Ausrüster Uhlsport entdecken durfte, sondern eine  – von zugegebenermaßen zwei – BSR-look-a-like-Weste. Eine davon trägt meinen Spitznamen.

Nicht, dass der „Bunki der Woche“ wirklich neu war bei Union. Und eigentlich auch keine Auszeichnung. Doch zuvor war er halt pinkfarben. Und wie es dazu kam, ist von den Kollegen von www.textilvergehen.de hinreichend erklärt. Und weil bei Union alles Neuhaus ist, und nichts so bleibt, wie es mal war, macht der sich dieser Tage doch glatt Gedanken, den „Bunki der Woche“ abzuschaffen und durch etwas Neues zu ersetzen. Stimmt mich irgendwie ein bisschen traurig.

Szenen meines Lebens IX

Schon morgens beim Betreten der Redaktionsräume in Hütte schwante mir Unheil. Dieses süffisante Grinsen auf den Gesichtern meiner Kollegen. Hatte ich mein Hemd falsch herum angezogen. Irgendwelche verräterischen Flecken auf der Hose vom Vorabend? Restalkohol? Kurze, unauffällige Überprüfung. Nichts dergleichen. Puh! Glück gehabt.

Das Süffisante steigerte sich ins Sardonische, als ich mich meinem Schreibtisch näherte. Dort lag, fein säuberlich aufgeschlagen mein Artikel des Vortages. Mit einem hübschen Bild wohlfeil abgerundet. Hatte sich die etwas ältere Fotografin-Kollegin, die das illustrieren von schnöden Artikeln so gar nicht mir ihren künstlerischen Neigungen und Ambitionen in Übereinklang zu bringen wusste, mal richtig Mühe gegeben. Was zum Henker sollten also diese nicht enden wollenden Blicke? Tippfehler waren auch nicht im übermäßigen Maß vorhanden. Und das beiläufig Hingeworfene „Ich freu mich schon auf Kuchen“ meines Redaktionsleiters sorgte auch für kein Erhellen in meinen Hirnwindungen.

Die Sekretärin erklärte es mir dann später im Vorbeigehen. Nicht das, was ich geschrieben hatte, sei das Problem. Sondern das Foto. Diese Foto von einem lokalen Großmufti.  Denn es zeige nicht mal nur eben den Berichtsgegenstand. Sondern klar erkennbar auch meine Wenigkeit. Und das sei ungeschriebener Brauch, dass man sich nicht selber als Reporter in der Vordergrund stellen sollte. Ergo werde so etwas mit einer saftigen Backwarenspende redaktionsintern auszugleichen sein.

Ob die gefräßige Bande nur nach einem Vorwand für weitere Stücke frischen Erdbeerkuchens suchte, ließ ich in der Sekunden mal dahingestellt. Ich hatte mir nie darüber Gedanken gemacht. Bis jetzt eben. Fein rein geritten, Frau Künstlerin! Alte Schule, wa? War ja neu hier. Von meinem armen Volo-Gehalt spendierte ich pflichtschuldigst ein sattes Blech. Wollte mir ja nix nachsagen lassen. Zumal ich der einzige Wessi in der Redaktion war. Nicht, dass man es auf die üblichen Dünkel schieben würde. Mitte der 90er musste man bei so etwas im Oderrandgebiet noch aufpassen. Später erhielt ich dann von dritter Seite nochmal die Bestätigung, dass es bei diesem regionalen Aboblatt tatsächlich sich so verhielt. Ganze Generationen junger Kollegen hatten schon die feixenden Gesichter der Altgedienten ertragen und in Nahrungsform Buße tun müssen.

Andere Zeitungen, andere Sitten. Mein Wechsel zum Boulevard kurz vor der Jahrtausendwende lehrte mich eine ganz andere Seite der Branche kennenlernen. Die Fotos mit dem Fußballstar seien ja schön und gut. Sicher, alles irgendwie druckbar. Aber wo bitte sei ich denn? Ich wäre ja nirgends zu sehen. Wenigstens eine  – Vorsicht, Branchenjargon für winziges Beistellbildchen – Briefmarke hätte doch dabei sein müssen. Sichtlich unzufrieden mit mir und der Welt machte sich mein Ressortleiter brummelnd ans Bauen der Seite. Ui, wider was gelernt.

Heute weiß ich, dass das substanzielle Gattungsunterschiede sind. Auch wenn die Grenzen immer mehr verfließen. Bei den Straßenverkaufszeitungen will man dem Leser bewusst vor Augen führen, wie nah man den Schönen und Mächtigen dieser Welt ist. Es ist sozusagen der Foto-Beweis, dass das, was man schreibt, vollumfänglich der Wahrheit entspricht. Unabhängig davon wie bunt und marktschreierisch die Verpackung auch daher kommt. Eine Frage der Glaubwürdigkeit also.Und des mitten drin statt nur dabei seins! Nicht selten schwingt sich ein rasender Reporter  im Dienste des Boulevards sogar auf, und macht all Sachen mit, was die Herren Profis im Alltag absolvieren. Beispielsweise lässt man sich vom Fitnesstrainer der Berufssportler einen Tag lang nach allen Regeln der Kunst malträtieren. Oder tritt im Wettstreite in einer anderen Zunft gegen sie an.

Beide Seiten haben also ihre Daseinsberechtigung. Durchaus. Das ich wiederum noch eine dritte Variante im Laufe meiner Reporterjahre beisteuern würde, hätte ich mir nicht träumen lassen.

Schuld, so man denn hier von Schuld sprechen kann,  daran waren die Weihnachtsfeiertage 2008. Es ist nicht unüblich, dass in dieser an Nachrichten armen Zeit ganze Artikel von Kollegen fleißig vorgeschrieben werden und der Veröffentlichung harren. Wann immer gähnende Leere im Blatte droht, werden damit flugs die Spalten gefüllt. Oft auch in Abwesenheit des Autoren. Was dann bei manche Redigier-Ungereimtheiten oder nennen wir es freundlich Schussligkeiten immer wieder für lustige Spannungsmomente im innerbetrieblichen Klima  führen kann.

Aber darum geht es diesmal nicht. Denn der Text bei den sehr ehrenwerten Kollegen des Tagesspiegels, der sich mit dem langatmig besungenen und viel gepriesenen Stadionbau des 1.FC Union beschäftigte, war einwandfrei. Zumindest fiel mir nach dem Lesen nichts auf, was es hätte zu beanstanden geben können. Hatte der Kollege D. fein gemacht.

Lustiger aber war die Bildauswahl! Denn mittenmang prangte ein lustiges Bildchen von mir mit einer Schaufel und einem roten „Bluten-für-Union“-Shirt auf der Sport-Aufmacherseite. Der Kollege D. von mir eilends zu Hause angerufen und mit Dank überschüttet, fiel aus allen Wolken. hatten doch seine Mitstreiter sich vom 1.FC Wundervoll eine Handvoll Bildchen gewünscht, mit dem sie den Text zu illustrieren gedachten. Und in diesem Potpourri des Werkelns waren – sozusagen live und in Farbe – Abbilder meiner selbst. Geschossen, als ich im August 2009 zwei Tage seit an Seit mit Pressesprecher Christian Arbeit selber an der schönsten Baustelle der Welt mit Hand angelegt und das natürlich gebührend im Kurier dokumentiert hatte.

Übrigens, ich habe es nochmal geschafft im Tagesspiegel vorzukommen. Na gut, nur ein kleiner Teil von mir. Genauer gesagt die linke Hand. Aber dafür sogar auf Seite 1. Ganz oben in der Ecke!

Und das kam so. Es begab sich nämlich zu der Zeit, als eine in Charlottenburg heimische Mannschaft sich anschickte, den steinigen Pfad des Aufstiegs zu erklimmen, dass ein unbeugsames Häufchen Eisernen nicht aufhörte den Eindringlingen, äh kurz, dem Ganzen temporalen Widerstand entgegenzusetzen. Und dieses Spiel, war das erste Pflichtspiel der beiden im Olympiastadion. Das Interesse war groß. Und die Tickets heiß begehrt. Was einen umtriebigen, fleißigen Kollegen, Archivaren des Augenblicks  und Vornamensvetter auf die Idee brachte, die Bückware doch einmal abzulichten. Ich war gerade im wahrsten Sinne des Wortes mit vier Tickets ins Glück zur Hand – und voila – der Tagesspiegel druckte als Anreißer in der Ausgabe des 5.2.2011 eben jenes Symbolbildchen für das Spiel der Spiele ab. Auch nicht schlecht, oder?