Ich und der Bobele, wir haben eine besondere Beziehung. Eine, die mich mein Leben lang begleitet hat. Von der er aber nichts weiß. Wahrscheinlich nie wissen wird. Was aber auch nicht schlimm ist …
Was er nicht weiß, mir aber seinerzeit sehr viel bedeutet hat, war sein allererster Sieg im Tennis-Mekka zu Wimbledon. 1985 war das. Ist also schon ein Weilchen her. Und doch in meiner Erinnerung so präsent, als ob es gestern gewesen wäre. Damals war ich nämlich in einem kleinen englischen Internat im Südosten der Insel. Genauer gesagt in Taunton Sohool, in Somerset. Nicht zwingend freiwillig. Aber ich war nun mal da. Und wie in allen englischen Internaten (natürlich sagten wir Tauntonians nicht Boarding School, für uns war die Schule halt „public“. Womit nicht staatlich gemeint war. Offen halt für jeden, der genug Kohle hatte, um sich eine gute Erziehung zu leisten. Und nein, wir Jungspunde dachten so überhaupt nicht snobistisch. So ganz gar nicht. Und wehe jetzt behauptet jemand das Gegenteil. Der wird mit Nichtachtung nicht unter zwei Wochen bestraft.) waren die Sitten rau. Und auch nicht zwingend deutschfreundlich.
Da saß ich nun als einziger Germane im House Fairwater. Umgeben von der adoleszenten künftigen Elite des U.K. John Cleese und Fawlty Towers mit ihrer beliebten Folge über die Germans prägten dort den einschlägigen Humor. Sieg-Heil-Rufe als Anfeuerungsmittel bei einem Inter-House-Vergleich, wenn ich mich laufenderweis für Fairwater in einem Cross-County-Wettbewerb abmühte galten als absolut probates Mittel. Unabhängig davon, dass ich das wenig zu schätzen wusste.
Mein einziger echter Trost seinerzeit war eine Beilage der Times. Die hatten im Vorfeld der All England Championship dort eine Story über die jungen Wilden gemacht, die vielleicht einmal Wimbledon gewinnen würden. Stefan Edberg war dort aufgeführt. Mats Wilander, obwohl etwas älter. Und eben Boris Becker, der gerade zuvor in Queens sein erstes Grand-Prix-Turnier überhaupt für sich entschieden hatte. Das Miniposter sehen und in unsrem Drei-Mann-Zimmer aufzuhängen war eins.
Endlich ein Stück Deutschland in der Fremde, auf dass ich stolz sein konnte. Womit ich nicht gerechnet hatte, war ein der Assistent Housemaster. Der ehemalige walisische U23-Rugby-Nationalspieler war von derart imposanter Statur – und als Lehrkörper zudem weisungsbefugt – dass sein kurzes Herunterreißen des Becker-Plakats, keinen echten Widerspruchsgeist in mir aufkommen ließ. Seine lapidare Bemerkung, erst wenn der – er sagte DER – Wimbledon gewonnen hätte, dürfte er in einem englischen Haus an einer Wand hängen.
To put a long story to an short end – Boris gewann! Als jüngster ungesetzter Spierl aller zeiten. Und schrieb später noch mehr Geschichte. Sport-Geschichte. Und noch einiges mehr. Ich schrieb ja auch im Sport. Etwas stäter zwar, so ab 1993. Aber nie über ihn. Doch nie werde ich den Moment vergessen, als er den Matchball gegen Kevin Curren verwandelte. Der Pokal war noch nicht überreicht, als ich schon an die Bürotür des Deputy-House-Masters klopfte. Lauter pochend war nur mein Herzschlag, als ich das Poster zurückforderte. Und mein Gesicht muss Bände gesprochen haben, eine schier Beckersche Willenskraft ausgestrahlt haben, als es mir mit den Worten „Jetzt darf er an der Wand hängen“ zurückgegeben ward.
Und diesem ganz winzigkleien Exkurs zurück zu dieser Woche. Daran dachte ich nicht, als ich 23 Jahre später in Stuttgart-Degerloch unweit des GAZi-Stadions in einem kleinen Trinkhallen-Kiosk Zuflucht vor dem dem norddeutschen Dauerregen artverwandten Wassermassen Zuflucht suchte. Drinnen wurde bereits fleißig gebechert. Zu einer Zeit, die den Namen Frühschoppen nicht mehr so ganz verdient hatte, aber auch nicht ganz so weit weg davon war, wie die Bundesregierung von einem ausgeglichenen Haushalt. Die Inhaberin war eine Frau in den Vierzigern mit einer Hautfarbe wie Milchschokolade, umhängt von einem dunklen KSC- und einem Kickers-Schaal. Hannah, wurde sie gerufen. Und war, was in Etablissements dieser Art durchaus hilfreich ist, nicht auf den Mund gefallen war. Man plaudert. Über Fußball. Die Kickers. Dass ich aus Berlin gekommen sei, nur wegen des Spiels. Und irgendwie erinnerte mich Hannahs Gesicht an jemanden, ohne dass ich wirklich sagen konnte wen. Bis sie mir ein Foto präsentierte. Dort war eine junge, hübsche Frau abgebildet umgeben von ihren zwei Söhnen. Der eine dunkel gelockt. Der andere blond. Der ältere hieß Noah, der jüngere Elias. „Das sind meine Neffen“, sagte Hannah. Und ich blickte nur staunend vom Bild hin zu ihr und zurück. oder umgekehrt. Mehrfach. Und in der Tat, was hier im Kiosk vor stand war die ältere Ausgabe – genauer gesagt zwei Jahre ältere Ausgabe – von Barbara Feltus-Becker. Die selben Linien, das gleiche Gesicht. Gelebter zwar. Gezeichnet halt vom mühsamen 12-Stunden-Job jeden Tag im Kiosk. Und etwas fülliger. Aber die Verwandschaft war nicht zu übersehen. Auch wenn sie bei Wikipedia nicht aufgeführt wird.
Mitten in Stuttgart plauderte ich also mit der Ex-Schwägerin von meinem einstigen Zufluchtspunkt in England. Und klar doch, ich habe es überprüft. Zumindest das Goldene Blatt und die B.Z. haben schon mal eine Geschichte über sie verfasst. Mal sehen, was sie beim nächsten Mal zu erzählen hat, wenn ich im Februar mit Union Berlin wieder hinfliege.