Tage wie dieser …

Ich hätt’s wissen müssen. Gleich morgens. Tage wie dieser … Nun gut, dass mit der Kaffeemaschine ist noch halbwegs glimpflich abgegangen. Die komischen Geräusche, mit denen sie sich lautstark in ihrer Ecke bemerkbar machte, ließen mich aufschrecken. Und ich gebe es ja auch zu, sie so weit unter den Tropfenfänger zu stellen, dass dieser ein Durchlaufen des erquickenden Morgentrunks ermöglichte, ist sinnvoll. Dass sie aber nur zur Hälfte darunter stand, eher weniger. Denn so ergoss sich das schwarze Gold hübsch an dem gläsernen Gefäß vorbei auf die Warmhalteplatte und wohin sonst so immer dass Gebräu sich bemüßigt fühlte.

Die Fortsetzung fand dann wenig später statt. Bei diesen Witterungsbedingung ist es ja nicht ratsam ohne Schal das Haus zu verlassen. Dies zu wissen und festzustellen, dass man es ignoriert hatte, ist wenig erbaulich, wenn zwischen sich und dem wärmenden Halstuch vier Stockwerke liegen. Und ne, ich hatte so wirklich gar und überhaupt nicht die Lust die 80 Stiegen hoch zu meinem  Palazzo noch bewältigen zu müssen.

Doch als pfiffiges Kerlchen ist man um Ideen selten verlegen. Oben in meinem Domizil war doch mein temporärer Mitbewohner. Der könnte doch. So aus dem Fenster und so.

Sie ahnen es schon? Stimmt. Denn was ich für einen echt feinen Plan hielt, entpuppte sich als Boomerang. Mit einer unglaublichen Zielsicherheit beförderte der gute Mann meinen lieben, kleinen Braunen ins Geäst eines vor dem Hause bösartig herumlungernden Baumes. Da flatterte er lustig in luftigen Höhen. Schöner Anblick. In der Tat. Nur leider half mir das nicht gegen den sich immer stärker an meinem Hals bemerkbar machenden Luftzug.

Ich wusste sofort jemanden, der nur mitleidig den Kopf schütteln würde. Ich hatte ihr „Also Papa“, schon in meinen Ohren. Die Bunkine kennt mich und meinen chronischen Schalschwund. Auch Mützen oder Handschuhe ging ich gern mal verlustig. Da hatte ich mich die letzten beiden Winter so angestrengt, mein Hab und Gut zu bewahren und nun das. Und mal abgesehen von meiner Unlust des Treppensteigens war ich nicht einmal Schuld …

Hatte ich schon erwähnt, dass ich einen zweiten Schal hatte. So ein Momperding in rot. Das wusste auch mein Mitbewohner. Und aus Schaden klug geworden, versenkte er das gute Cashmere-Teil in einer Plastetüte. Sollte die aerodynamischen Flugeigenschaften verbessern. Tat es auch. Und zwar so gut, dass der gemeingefährliche Bäumling spielends umgangen wurde. Die Tüte segelte also herab, sie segelte weiter, sie näherte sich dem Erdboden und landet hohnlachend auf der Brüstung eines Nachbarbalkons. Erster Stock zwar nur. Aber Klingeln nutzlos. Es waren alles reine Ferienwohnungen. Nicht besetzt, nicht belegt gerade. Money down the drain zum Zweiten. Supersache.

Nun gut, Schwund ist ja immer. Kann man nicht ändern. Leise vor mich hin grummelnd machte ich mich vom Acker. Hatte ja schließlich noch mehr auf dem Zettel, ehe es in die heiligen Redaktionshallen ging (das ich dort später hätte eintrudeln dürfen, war an mir vorbeigegangen, weil die entsprechende Mail erst in meinem Postfach aufschlug, als ich das Haus verlassen hatte …). .

Sind sie immer noch hier? Echt? Noch nicht genug an meinem Elend ergötzt? Nun gut, Sie haben es ja so gewollt. Ich war noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt. Können Sie sich meine hocherfreute Miene vorstellen, als ich nach geduldigem Einreihen am Postschalter nichts in Empfang nehmen können? Nun gut, den hübschen gelben Benachrichtigungszettel habe sie ja gelesen, meinte die freundliche Dame. Aber so ein Zettel, da könne ja jeder kommen. Wenn nix da sei, sei nix da. Ne kostenfrei Hotline könne sie bieten. Auch was hübsches, oder?

Ne ja, ist klar, soll ich doch selber zusehen, wo das gute Schriftstück gelandet ist. Und überhaupt. Sie seien schließlich eine Postbank, hallo DIE Postbank, nicht die DHL oder die Briefpost. Das seien drei ganz verschiedene Unternehmen, wurde ich mitleidig belehrt.  DREI! Sie könne schon gar nichts dafür, quoll es undeutlich aus ihren Lippen hervor mit einem gestrengen Blick über ihre Brillengläser hinweg, der deutlich machte, dass ich sie bitte nicht weiter belästigen möge.  Fast hätte ich mich dafür entschuldigt, dass ich ihre wertvolle Zeit so schnöde mit meinem egoistischen Unterfangen missbraucht hatte. Aber, nein, ein Grenze hatte Tyrannenmacht. Also ein letzter zaghafter Vorstoß. „Aber es ist doch ein Einschreiben“, stammelte ich vor mich hin. Das „So etwas kann doch nicht verloren gehen“, wurde von einem ebenso resoluten wie finalen „Das habe ich gesehen“, unterbrochen.

Okay, okay, ich weiß, wann ich geschlagen bin. Sofortiger Rückzug, Truppen sammeln und so. Der einzige Lichtblick in der Warteschleife war, dass ich fußläufig nur von der Filiale in der Frankfurter Allee bis zur Warschauer Straße warten musste, eh mein Anliegen endlich vorgetragen werden konnte. Man versprach sich zu kümmern. Handelte sich ja um ein Einschreiben …

 

 

Return to sender

Als ich den Briefkasten öffnete, blickte er mich fröhlich an. Leuchtend. Gelb. Unübersehbar. Da war es ja das gute Stück. Aber verdammt noch mal, wieso machst du es dir jetzt bei mir gemütlich im Hauseingang? Wo hast du dich rumgetrieben, du Schlingel? Du solltest doch schon seit Tagen draußen im Speckgürtel in Empfang genommen werden. Die Bunkine hatte doch schon sehnlichst auf ihre Essensmarken gewartet.

Die Sache mit Töchterleins gelegentlicher Schulspeisung ist nämlich die. Irgendwas geht immer schief. Mal werden ihr die Marken nicht ausgehändigt, weil bei der Bestellung eine Frist minimal überschritten wurde und telefonisches Interagieren schlichtweg daran scheitert, dass die Herren Schulgastronomen vielleicht leidlich gut kochen mögen, wohl aber nicht wisen, wie sie denn ihre Fernsprecher zu bedienen haben. Ist ja auch schwer, so einen Hörer mal in die Hand zu nhemen, wenn er denn fröhlich schellt. Kunde könnte ja mit Umsatz drohen. Oder schlimmerem.

Diesmal war es aber meine Schuld. Als ich die Bunkine letztens von der Schule abholte, wedelte sie fröhlich mit einem DIN-A4-Bogen herum, auf dem sechs winzige Essensmarken eingedruckt waren. Ein zweiter Bogen in ihrer Obhut nebst zusätzlichen Arbeitsblättern verstopften die andere Patschehand. Müssten wir noch kurz bei ihrer erkrankten Freundin vorbeibringen, ehe es heimwärts gehen kann. Gesagt, getan. Ranzen geschultert, Sporttasche übergeworfen, ihre Essensmarken in der Innentasche meiner Jacke ein liebevolles, neues Zuhause gegeben. Und ab. Ahnen Sie es bereits?

Natürlich vergaß ich bei abendlicher Heimreise ins traute Berlin die Marken aus meiner Jacke zu fingern. Aus den Augen, aus dem Sinn. Blöd, aber korrigierbar. Es war ja Donnerstag. Und erst am Dienstag würde sie ihre Essensbons benötigen. Zeit genug, um sie postalisch noch an ihre Besitzerin zu bringen. Ne Briefmarke hatte ich auch noch zur Hand. Einwurf am Freitag um 17.30 Uhr, der Kasten versprach auch noch am gleichen Abend eine Leerung. Alles schick, also.

Alles? Nicht ganz. Es kam der Samstag. Kein gelber Umschlag zu sehen. Es kam der Montag. Kein Umschlag weit und breit. Es kam der Dienstag. Immer noch nichts. Es Mittwochte, gut um es abzukürzen, es kam überhaupt nichts. Zumindest nicht da an, wo wir es alle hinhaben wollten. Bis eben!

Da war er nun, der Schlingel. Versehen mit einem kleinen, abziehbaren Aufkleber und dem netten Stempel „Empfänger/Firma unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln.“ Hä? Wie bitte? Kurzes innerliches Aufbrausen meinerseits gepaart mit einem strengen Kontrollblick. Name? Stimmte! Straße? Alles im grünen Bereich. Ort und Postleitzahl auch. Wtf? Die Hausnummer! Die verflixte Hausnummer. Instinktiv hatte ich die alte Nummer aufgeschrieben, unter der wir vor acht Jahren ein gemeinsames Dach gehabt hatten. 12 stand da, 12 statt 14! Dick und fett. Klar doch, dass das gute Teil nicht ankam.

Doch diese ersten Gedanken, blieben nicht die letzten. Moment mal, schoss es mir durch die grauen Zellen. Dieser Wohnpark ist verdammt überschaubar, um nicht zu sagen klein. Ganze 14 Häuser maximal. Eher weniger. Und gleich unter zwei Adressen war eben der nicht gerade häufig vorkommende Nachname der Bunkine zu finden. Einmal bei sich, einmal bei den Großeltern. Und beide residieren seit geraumer Zeit schon dort.

Also ganz ehrlich, es war mein Fehler. Aber ist es wirklich zu viel verlangt, mal sein Gehirn einzuschalten? Die Postboten dort sind seit geraumer Zeit in ihrem Job zu Hause. Da kann man auch anders. Wenn man denn nur will …

Postkarte aus Bali

Eine Karte. In meinem Kasten. Und keine Rechnung. Gott sei es getrommelt und gepiffen. Der Tag fing ja wirklich gut an. Doch dann wurde es kryptisch. Zuerst erstand ich den Text einfach nicht. Was weder an der Handschrift noch an der Ortographie lag. War schlicht der Inhalt. Wie jetze, meinen Baustellenreport online gelesen? Jetzt erst? Der war doch schon vor zwei Monaten veröffentlicht worden. Damals als die Sonne noch schien, Männer noch echte Männer waren, Frauen noch echte Frauen und kleine pelzige Wesen von Alpha Centauri halt kleine pelzige Wesen von Alpha Centauri (Okay, ich weiß, der ist geklaut von Doug Adams). So weit zurück konnte ein Dritte-Welt-Land doch selbst im Internet nicht sein. Oder sollte etwa das Kärtchen per Schneckenpost befördert worden sein?

Auch ein weiteres Lesen mache den Inhalt der Urlaubspostkarte zunächst nicht transparenter. Bis mein Blick aufs Adressfeld fiel: ein kleiner weißer Zettel klebte über dem Anschriftfeld. Ersatzzustellung oder so ähnlich wegen falscher Adressierung. Und nur zwei Monate später habe ich das Ding dann doch bekommen. Sag mir einer jetzt noch mal was gegen unser gute alte Deutsche Post. Preußisch korrekt eben. Was die machen, machen sie eben gründlich …