Und wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht?

„Ach komm, ihr werdet doch auch so Meister.“

„Schnauze.“

Zugegeben. Nicht zwingend nett, was ich da dem Wirt meines Vertrauens entgegenschmetterte. Aber mal ehrlich, wenn ich etwas in diesem Moment überhaupt nicht gebrauchen konnte, dann das.

Es juckte mich in dieser Sekunde keine Bohne, dass am Ende der Spielzeit Jubiläumstitel 25 in den Annalen einzutragen ist. Ich starrte fassungslos auf den Bildschirm ob der offenbarten Einfallslosigkeit. Und vor meinem geistigen Auge erschien die gut gegelte Frisur eines nicht ganz unbekannten Portugiesen, der solcherlei Unzulänglichkeiten noch mehr bestrafen würde. Oder ein argentinischer Wurzelzwerg, der wie das heiße Messer durch die Butter durch die Hintermannschaft des großen Experimentators Sepp Guardiola spazieren würde. Und sich dabei noch das Näschen putzen könnte.

Ich saß da. Sprachlos. Fassungslos. Es tat nur weh. Und da ist keinerlei Trost bekömmlich. Meisterschaft. Ey, siehst du nicht, was da gerade passiert? Lass mich.

Warum, oh zum Teufel, gönnt einem denn keiner in solchen Momenten die Ruhe, die man jedem anderen Fußballfan zugestehen würde.? Etwas was selten vorkommt, ist dennoch nicht minder verletzend.

Gut, Hohn und Spott gehören dazu. Die muss man als Anhänger eines Vereins, der nun mal häufiger gewinnt als die anderen, eben ertragen, wenn es mal schief geht. Damit kann ich leben.Mal mehr, mal weniger.  Euer Neid ist unsere Stärke. Aber Mitleid?

Gladbach war nun einfach mal besser am letzten Sonntag. Und komischerweise nicht zum ersten Mal gegen die Mannschaft dieses eigentlich genialen Chaostheoretikers aus Katalanen. Muss man neidlos anerkennen. Aus die Maus. Und stört mich, der als Misserfolgsfan des FC Bayern geboren wurde, dabei gar nicht so sehr. Kannte ich ja früher kaum anders.

Doch, doch, das gibt es. Kuckst du hier.

Doch einem den Schmerz wegreden zu wollen, einem also quasi das Fanrecht abzuerkennen, das geht für mich zu weit. Natürlich leidet man als Bayern-Fan auf hohem Niveau. Und doch ist es Leid. Erkennt das endlich mal an. Nur weil wir nicht absteigen, heißt das nicht, dass wir grausame Stunden nicht kennen. Finale dahoam. Pokal-Finale-Pleite gegen Dortmund 2012. Notschlachtung  durch die Königlichen im Vorjahr. Ja, all das tut weh.

Also spart euren Trost, wenn so etwas mal eintrifft. Spottet, hämt, lacht, tanzt und singt und schreit eure Freude heraus, aber sucht nicht einem weiszumachen, man müsse auch mal gönnen können.

Ne, muss man nicht.

Erkennt doch mal an, dass wir auch Fußballfans sind. Vielleicht nicht geboren im Schmerz des Abstiegs. Nicht gestählt als Anhänger eines Paternoster-Team. Aber es ändert wenig daran, dass einen in solcherlei Momenten der Schmerz unerbittlich ergreift. Und still genossen werden muss.

Und warum auch nicht? Denn auch wir sind nur Fans. Wir lieben unseren Klub und wir sind stolz auf ihn

Ja, doch, sind wir. Und damit euresgleichen, auch wenn ihr das nicht wahrhaben wollt. Lasst es euch mit den Worten Shylocks rnoch mal verdeutlichen:

„Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen? Sind wir euch in allen Dingen ähnlich, so wollen wir’s euch auch darin gleich tun.“ (William Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig, 3. Akt, Szene 1) 

 

 

 

Die WM und ich

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Die Küchenuhr tickt. Leise. Stetig. Aber viel zu langsam für meinen Geschmack. Ich will endlich los. Ins Wohnzimmer. Auf mein Sofa im Stadion an der Alten Försterei. Endspieltag! Und doch ist das alles noch so fern. Viel zu fern. Und die Zeit will nicht rumgehen…

WM-Endspiel. Es gibt nichts Größeres. Und für mich als leidenschaftlichen Fußballfan sowieso nicht. Als rasender Reporter kann ich meine Emotionen beruflich bedingt gar nicht so ausleben wie all die Jungs bei den Spielen des 1.FC Wundervoll auf den Rängen. Für mich sind es immer die Großturniere, bei denen ich mich auch einmal gehen lassen kann. Mitfiebern. Die Leinweand anbrüllen oder extatisch mit anderen zusammen einen Jubelchor anstimmen kann.

Dass das runde Leder mich in den Griff bekommen sollte, war bei meiner Geburt offensichtlich vorherbestimmt. Ich erblickte das Licht der Welt genau an dem Tag, als in England ein neuer Stern am Fußballhimmel aufging. Eine spätere Lichtgestalt führte die deutsche Mannschaft zu einem grandiosen 5:0 beim Auftakt im Hillsborough. Der Ort, der 23 Jahre später zum Inbegriff einer Tragödie wurde und die heutige Sitzplatz(un)kultur einleitete.

Nun sitze ich hier. Und warte. Und warte. Versuche mich abzulenken. Die Sachen für den Usedomurlaub mit der Bunkine zu packen. Oder zumindest auf kleine Häufchen zu stapeln. Man(n) will ja nix vergessen.

Gedanken streifen dabei durch meinen Kopf. Wann ich denn das erste Mal bewusst eine WM verfolgt habe. Eigentlich müsste es 1974 gewesen sein. Doch beileibe nicht alle Spiele. Die Anstoßzeiten waren oft so gestrickt, dass ein achtjähriger Steppke sie nicht mitverfolgen durfte. Ich glaube ich habe die Vorrunde Größtenteils irgendwie verpasst, das der Spielerrevolte folgende 2:0 gegen Jugoslawien auch. Meine Erinnerungen setzen ein mit dem 4:2 gegen Schweden und der Wasserschlacht zu Frankfurt gegen Polen. Und natürlich irgendwie das Endspiel gegen die Oranjes.

Alles Bilder, die sehr präsent sind in meinem Kopf. Auch heute noch.

Aber wenn ich ganz tief in meinem Unterbewusstsein krame, dann liegt das eher nicht am gemeinsamen fernsehen mit meinem geliebten Altvorderen, sondern an etwas Süßem. An Schokolade besser gesagt. Es gab in jenen Tagen eine längst ausgestorbene Marke namens Sprengel. Und diese Süßtafeln enthielten lustige Sammelbilder. Mit Fleiß und Akribie kollektivierte ich die bunten Bildchen und klebte sie in das dafür vorgesehene Sammelalbum „1966 – 1970 -1974“.

Vier Jahre später sah es schon ganz anders aus. Argentinien war zwar weit. Aber als mittlerweile gestandener 12-Jähriger wollte man auf der Höhe des Geschehens sein. Ich quälte mich durch ein langweiliges Eröffnungs-Null-zu-Null. Mit zunehmendem Enthusiasmus, den zwei Zwischenrunden-Remis ein wenig ernüchterten. Wenigstens das Spiel um Platz 3 sollte drin sein. Waren ja nur die Österreicher. Doch, Sie wissen es ja, Cordoba. Mancher wird närrisch. Und ich ging deprimiert raus zum Kicken mit den Nachbarjungs. Das heißt kicken stimmte auch nicht so ganz. Ich musste dabei laufend den Radio-Reporter mimen, denn um meine fußwerklichen Künste war es nicht so gut bestellt. Zumindest nicht im Vergleich mit den Bengels aus der Nachbarschaft. Also war ich noch nicht so richtig drin im WM-Wahn.

1982: Wahrscheinlich meine erste wirkliche WM. Lassen wir die Schande von Gijon einmal außen vor, springen wir gleich ins Halbfinale. Das Spiel gegen Frankreich. Ein unaufhaltbar scheinender Rückstand. Und dann die Einwechslung des angeschlagenen Karl-Heinz Rummenigge, die dem Spiel eine seltsame Wendung gab. Selbst mein Frau Mutter fieberte vor dem Fernseher mit. Dabei war sie der Affinität zum schnöden Gekicke nicht im geringsten Verdächtig. Für sie hätten sich alle 22 Mann jeder in eine Ecke setzen können und mit ihrem eigenen Bällchen spielen. Immer wieder hatte sie es im Turnierverlauf geschafft unvermittelt aus den Tiefen des Hauses aufzutauchen wie weiland nur Günter Netzer aus den Tiefen des Raumes und selbst im spannendsten Spiel einen mit irgendwelchen belanglose Fragen zu behelligen. Aufgeräumte Zimmer und so.  Doch da saß sie nun und unterstützte lautstark die Jungs mit dem Adler auf der Brust. Da konnte doch nix mehr schiefgehen auf dem Weg zum dritten Titel. Nix, außer Italien eben. Chancenlosigkeit pur im Finale. Und ein bis heute nicht abgeebbtes Desinteresse meiner werten Frau Mama, was das runde Leder anging.

1986:  Als angehender Abiturient haben ich mir nahezu alles gegeben. Jedes Vorrundenspiel. Egal wann. Schließlich war man doch einer der Großen in der Schule. Was kümmerte einen das übernächtigt sein am nächsten Morgen im langweiligen LK Geschichte. Doch alles was hängen blieb war die Hand Gottes. Und ein eingewechselter Dieter Hoeneß im Endspiel, als wir uns anschickten Maradona und Co. doch noch den Triumph zu entreißen. Kam mal wieder anders. Aber dank fleißigen Studiums des Kicker Sportmagazins – so denn mein alter Herr mal ein bisschen Luft ranließ -, war ich stehst gut informiert. Suppenkasperaffäre und so.

1990: Mittlerweile im ehrenwerten Stadiums des Studierenden angekommen, drehte sich in der Sommerzeit alles nur darum, wo und wann man das nächste Spiel ansehen würde. Live-Übertargungen in den Hörsälen der Georgia-Augusta waren da ebenso Programm wie gemeinsames verfolgen des Geschehens mit dem Kommilitonen. Von Spiel zu Spiel steigerten wir uns weiter rein. Ein Lothar Matteus auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Das unvergessliche Spuckspiel gegen die Niederlande. Ein über sich hinauswachsender Jürgen Klinsmann. Genial. Und ebenso das Ende, als sich wildfremde Menschen spontan am Gänse-Lisl versammelten und einander in die Armen fielen. Ein Vorgeschmack auf Sommermärchen 2006, ohne das man es damals so genannt hätte.

1994: Ach lassen wir das. Subsumieren wir dieses und das danach folgende Turnier unter dem Begriff hässliche Trikots und zwei peinliche K.o.s im Viertelfinale. Sie wissen schon, Jordan Letschkov, der alter HSVer, und im Turnier darauf nahmen die Kroaten die Aufforderung der Bildzeitung (Los, Berti! ic sie weg) sich sehr zu Herzen. Leider.

2002: Mittlerweile im Reportleben angekommen, artete das Turnier in Arbeit aus. Seitenumfänge mussten gefüllt werden. Mit Andreas Baingo war ein Kollege live vor Ort. Die Übertragungszeiten waren auch sehr kompatibel. Da konnte und musste man alles mitverfolgen. Rudis Resterampe rumpelte sich dann auch durch ins Finale. Sicher, da waren ein paar tolle Spiele dabei. Acht Tore gegen Rudi-Hau-die-Saudi, beispielsweise. Der überlegene Sieg in Unterzahl gegen ein damals bärenstarkes Kamerun.  Umgekehrt ergaben sich die Engländer trotz Überzahl den Brasilianern. Bei eigenem Rückstand. Unfassbar so etwas. Wir hangelten uns im leichteren Paarkreuz nach Tokio, Michael Ballack opferte sich im Halbfinale gegen Südkorea. Und dann mussten man ausgerechnet im Endspiel Zeuge einer Fleischwerdung des Titanen werden. Oliver Kahn patzte. Ausgerechnet. Und der Sieger hieß Brasilien, obwohl das deutsche Team sein vielleicht bestes Spiel abgelagert hatte.

2006: Sommermärchen. Und alle in der Reaktion nahmen dran teil. 15 Spiele verfolgte ich live im Stadion. Darunter alle deutschen. Den Rest gab es beim Public Viewing. Beispielsweise vor dem Reichstag, wo die Herren von Adidas ein Miniatur-Olympiastadion aufgebaut hatten. Oder in der 11Freunde-Lounge am Potsdamer Platz. Ein Spiel sah ich auch in Dortmund am Vorabend des unsäglichen 0:2 gegen Italien. Auf der Rückfahrt nach Berlin erreichte mich kurz vor der Autobahn noch die SMS einer ehemaligen Gespielin: „Das war so nicht abgemacht.“ Und ob Stuttgart wirklich so viel schöner war als Berlin, haben die Schwaben dann zwar nach dem Spiel gegen Portugal lautstark besungen, aber ich hatte meine Zweifel. Nun gut, konnte ich wenigstens das Endspiel am nächsten Tag im Oly ohne Stress verfolgen.

2010: Sportfreunde Stillers Neuauflage, die Verballhornung von Lena Meyer-Landruts „Satellite“ (’schland, oh ’schland, wir sind an deiner Seite), dazu das unausweichliche Waka-Waka. Letzteres blieb mir in Südafrika ja nicht erspart. Wohl aber manche Auswüchse der Schlandimania. Es blieben wieder 15 Spiele live im Stadion, darunter die beiden grandiosen Auftritte gegen England und Argentinien in der K.o.-Runde. Am Ende wieder nur Dritter. Und ein Finale, in dem die Holländer auf alles traten, was sich bewegte und nicht der Ball war und doch den Spaniern nicht das Wasser reichen konnten. Der Rückflug war übrigens mein Geburtstag. Ich verbrachte ihn mit einem langen, flugplan-bedingten  Stop-Over in Windhoek. Nette Gespräche mit einigen, na gut sagen wir mal freundlich Allesfahrern. Aber für gewöhnlich suche ich mir die Gesellschaft zu meinem Wiegenfeste gerne selber aus.

2014: Der Traum rückt näher. Diesmal leider nur aus der Ferne. Synergieeffekte im Verlag, ließen den Kurier außen vor bei der Reise an den Zuckerhut.  Doch die Sofa-Aktion im Stadion an der Alten Försterei entschädigte. Dazu die Bunkine neben mir. Das war einfach genial. Die Spiele bewegten sich  insgesamt auch auf einem ordentlichen Niveau. Mit Toren satt. Und spätestens nach dem tollen 7:1 gegen Brasilien war klar, die Zeit ist reif für den vierten Stern.

Und nun entschuldigen Sie mich bitte. Es klingelt. Ich muss los. Man sieht sich …

Von toten Pferden

„Wenn dein Pferd tot ist, musst du absteigen.“ Weise Worte eines, ich glaube, 13-Jährigen die mich neulich via E-Mail erreichten. Sie zeugten von Verstand einer Sache nicht länger nachzuhängen, die eh hoffnungslos verloren ist. (Vielleicht sollte ich mir davon in Sachen Liebe eine dicke Scheibe abschneiden).

Und doch stimmten sie mich nachdenklich. Sehr nachdenklich. Sie fielen nämlich im Zusammenhang mit Herthas selbstverschuldeter 1.2-Heimpleite beim Relegationsspiel gegen Düsseldorf. Und implizierten, dass man, was Fußball anginge, künftig die Seiten zu wechseln gedenke. Also weg von Blau-Weiß, hin zu Rot-Weiß. Zum 1.FC Wundervoll.

Der erste Gedanke war. Na prima. Noch ein Eventfan mehr, der die Stimmung in Köpenick irgendwann einmal  wandeln könnte. Echte Liebe hält sich aber nicht an Spielklassen oder Erfolgen fest. Right or wrong, my country! Ein Unioner steigt auf und wieder ab, auf und wieder ab. Und verkraftet das.

Hey. Es ist nie zu spät für eine Resozialisierung. Dazuzulernen ist eine Kunst. Und warum sollte ein 13-Jähriger in seinem Weltbild schon dermaßen gefestigt sein, dass er einmal getroffene Entscheidung – hier auch durch seine Mutter begünstigt, die sich lieber im Olympiastadion tummelte denn an der Alten Försterei – Zeit seines Lebens mit sich rumschleppen muss? Es muss ja noch nicht zu spät sein, diese andere Art der Fußballkultur für sich zu entdecken und lieben zu lernen.