Szenen meines Lebens IX

Schon morgens beim Betreten der Redaktionsräume in Hütte schwante mir Unheil. Dieses süffisante Grinsen auf den Gesichtern meiner Kollegen. Hatte ich mein Hemd falsch herum angezogen. Irgendwelche verräterischen Flecken auf der Hose vom Vorabend? Restalkohol? Kurze, unauffällige Überprüfung. Nichts dergleichen. Puh! Glück gehabt.

Das Süffisante steigerte sich ins Sardonische, als ich mich meinem Schreibtisch näherte. Dort lag, fein säuberlich aufgeschlagen mein Artikel des Vortages. Mit einem hübschen Bild wohlfeil abgerundet. Hatte sich die etwas ältere Fotografin-Kollegin, die das illustrieren von schnöden Artikeln so gar nicht mir ihren künstlerischen Neigungen und Ambitionen in Übereinklang zu bringen wusste, mal richtig Mühe gegeben. Was zum Henker sollten also diese nicht enden wollenden Blicke? Tippfehler waren auch nicht im übermäßigen Maß vorhanden. Und das beiläufig Hingeworfene „Ich freu mich schon auf Kuchen“ meines Redaktionsleiters sorgte auch für kein Erhellen in meinen Hirnwindungen.

Die Sekretärin erklärte es mir dann später im Vorbeigehen. Nicht das, was ich geschrieben hatte, sei das Problem. Sondern das Foto. Diese Foto von einem lokalen Großmufti.  Denn es zeige nicht mal nur eben den Berichtsgegenstand. Sondern klar erkennbar auch meine Wenigkeit. Und das sei ungeschriebener Brauch, dass man sich nicht selber als Reporter in der Vordergrund stellen sollte. Ergo werde so etwas mit einer saftigen Backwarenspende redaktionsintern auszugleichen sein.

Ob die gefräßige Bande nur nach einem Vorwand für weitere Stücke frischen Erdbeerkuchens suchte, ließ ich in der Sekunden mal dahingestellt. Ich hatte mir nie darüber Gedanken gemacht. Bis jetzt eben. Fein rein geritten, Frau Künstlerin! Alte Schule, wa? War ja neu hier. Von meinem armen Volo-Gehalt spendierte ich pflichtschuldigst ein sattes Blech. Wollte mir ja nix nachsagen lassen. Zumal ich der einzige Wessi in der Redaktion war. Nicht, dass man es auf die üblichen Dünkel schieben würde. Mitte der 90er musste man bei so etwas im Oderrandgebiet noch aufpassen. Später erhielt ich dann von dritter Seite nochmal die Bestätigung, dass es bei diesem regionalen Aboblatt tatsächlich sich so verhielt. Ganze Generationen junger Kollegen hatten schon die feixenden Gesichter der Altgedienten ertragen und in Nahrungsform Buße tun müssen.

Andere Zeitungen, andere Sitten. Mein Wechsel zum Boulevard kurz vor der Jahrtausendwende lehrte mich eine ganz andere Seite der Branche kennenlernen. Die Fotos mit dem Fußballstar seien ja schön und gut. Sicher, alles irgendwie druckbar. Aber wo bitte sei ich denn? Ich wäre ja nirgends zu sehen. Wenigstens eine  – Vorsicht, Branchenjargon für winziges Beistellbildchen – Briefmarke hätte doch dabei sein müssen. Sichtlich unzufrieden mit mir und der Welt machte sich mein Ressortleiter brummelnd ans Bauen der Seite. Ui, wider was gelernt.

Heute weiß ich, dass das substanzielle Gattungsunterschiede sind. Auch wenn die Grenzen immer mehr verfließen. Bei den Straßenverkaufszeitungen will man dem Leser bewusst vor Augen führen, wie nah man den Schönen und Mächtigen dieser Welt ist. Es ist sozusagen der Foto-Beweis, dass das, was man schreibt, vollumfänglich der Wahrheit entspricht. Unabhängig davon wie bunt und marktschreierisch die Verpackung auch daher kommt. Eine Frage der Glaubwürdigkeit also.Und des mitten drin statt nur dabei seins! Nicht selten schwingt sich ein rasender Reporter  im Dienste des Boulevards sogar auf, und macht all Sachen mit, was die Herren Profis im Alltag absolvieren. Beispielsweise lässt man sich vom Fitnesstrainer der Berufssportler einen Tag lang nach allen Regeln der Kunst malträtieren. Oder tritt im Wettstreite in einer anderen Zunft gegen sie an.

Beide Seiten haben also ihre Daseinsberechtigung. Durchaus. Das ich wiederum noch eine dritte Variante im Laufe meiner Reporterjahre beisteuern würde, hätte ich mir nicht träumen lassen.

Schuld, so man denn hier von Schuld sprechen kann,  daran waren die Weihnachtsfeiertage 2008. Es ist nicht unüblich, dass in dieser an Nachrichten armen Zeit ganze Artikel von Kollegen fleißig vorgeschrieben werden und der Veröffentlichung harren. Wann immer gähnende Leere im Blatte droht, werden damit flugs die Spalten gefüllt. Oft auch in Abwesenheit des Autoren. Was dann bei manche Redigier-Ungereimtheiten oder nennen wir es freundlich Schussligkeiten immer wieder für lustige Spannungsmomente im innerbetrieblichen Klima  führen kann.

Aber darum geht es diesmal nicht. Denn der Text bei den sehr ehrenwerten Kollegen des Tagesspiegels, der sich mit dem langatmig besungenen und viel gepriesenen Stadionbau des 1.FC Union beschäftigte, war einwandfrei. Zumindest fiel mir nach dem Lesen nichts auf, was es hätte zu beanstanden geben können. Hatte der Kollege D. fein gemacht.

Lustiger aber war die Bildauswahl! Denn mittenmang prangte ein lustiges Bildchen von mir mit einer Schaufel und einem roten „Bluten-für-Union“-Shirt auf der Sport-Aufmacherseite. Der Kollege D. von mir eilends zu Hause angerufen und mit Dank überschüttet, fiel aus allen Wolken. hatten doch seine Mitstreiter sich vom 1.FC Wundervoll eine Handvoll Bildchen gewünscht, mit dem sie den Text zu illustrieren gedachten. Und in diesem Potpourri des Werkelns waren – sozusagen live und in Farbe – Abbilder meiner selbst. Geschossen, als ich im August 2009 zwei Tage seit an Seit mit Pressesprecher Christian Arbeit selber an der schönsten Baustelle der Welt mit Hand angelegt und das natürlich gebührend im Kurier dokumentiert hatte.

Übrigens, ich habe es nochmal geschafft im Tagesspiegel vorzukommen. Na gut, nur ein kleiner Teil von mir. Genauer gesagt die linke Hand. Aber dafür sogar auf Seite 1. Ganz oben in der Ecke!

Und das kam so. Es begab sich nämlich zu der Zeit, als eine in Charlottenburg heimische Mannschaft sich anschickte, den steinigen Pfad des Aufstiegs zu erklimmen, dass ein unbeugsames Häufchen Eisernen nicht aufhörte den Eindringlingen, äh kurz, dem Ganzen temporalen Widerstand entgegenzusetzen. Und dieses Spiel, war das erste Pflichtspiel der beiden im Olympiastadion. Das Interesse war groß. Und die Tickets heiß begehrt. Was einen umtriebigen, fleißigen Kollegen, Archivaren des Augenblicks  und Vornamensvetter auf die Idee brachte, die Bückware doch einmal abzulichten. Ich war gerade im wahrsten Sinne des Wortes mit vier Tickets ins Glück zur Hand – und voila – der Tagesspiegel druckte als Anreißer in der Ausgabe des 5.2.2011 eben jenes Symbolbildchen für das Spiel der Spiele ab. Auch nicht schlecht, oder?

Szenen meines Lebens IV

Wer immer mir in meiner Addolszenz geweissagt hätte, ich würde dereinst beim Boulevard meine Brötchen buttern lassen, der hätte ein schallend Gelächter geerntet. „Du wallraffst wohl gar nichts mehr“, hätte ich ihm in jugendlicher Überheblichkeit fröhlich entgegen geschmettert. Lediglich die örtliche Landeszeitung, die „TV Hören & Sehen“ und den unverzichtbaren Kicker wussten wir in unserem Hause zu halten. Getreuer Begleiter war auch ein aus Hamburg stammendes montägliches Wochenmagazin, das mittlerweile mehr Geld mit Hitler verdient als die NPD.

Nicht, dass ich groß mit den vier Buchstaben und ihresgleichen wirklich zu tun gehabt hätte. Aber das war mir egal. Meine Meinung hatte ich mir gebildet. Und durch so etwas wie Fakten war sie nicht im geringsten zu erschüttern.

Ach ja, der Jugend leichter Sinn. Schnell und eilends fertig mit dem Wort. Weder wusste ich damals was ich werden will. Noch fand ich eine Karriere in der schreibenden Zunft erstrebenswert. Ein Abi-Kollege werkelte zwar in Lüneburg als Volontär in einem Anzeigenblatt und am Sonntag im Sportteil der Landeszeitung vor sich hin. Wir teilten auch die Neigung zum gleichen Fußballklub und für sechs Monate mal eine Wohnung miteinander. Aber als Lehrerkind erschien mir ein Studium und da Interessensbedingt das der Geschichtswissenschaften am natürlichsten.

Meine ersten Gehversuche waren zudem recht heimlicher Natur. Mein mich finanzierend Vater hätte mir so einiges gelesen,  beispielsweise die Leviten, so er denn gewusst hätte, dass ich für ein absolviertes Praktikum während der Vorlesungszeit quasi ein Semester verschenkte.

Auch die illustren Metropolen wie Hameln. Göttingen und Eisenhüttenstadt, in denen ich schreiberisch tätig wurde,  deuteten nicht zwingend auf eine Beschäftigung bei einer Kaufzeitung hin. Wobei ich an letzter Station immerhin schon den Wunsch, dereinst als Sportreporter hauptberuflich tätig  werden zu können, ein großes Stückchen näher gerückt war.

Dann kam der Sommer of Nintynine. Des ewigen Fahrens aus Berlins Speckgürtel nach Franfurt/Oder leid, die Bunkine justamente am Entstehen, stand ich unvermittelt vor der Wahl: Ab nach Hamburg, wo eine stets am Mittwoch erscheinende  Sportzeitschrift meines Kommens harrte? Oder das Angebot vom Alexanderplatz annehmen?

Ich entschied mich für Letzteres. Auch weil der Bunkine werdende Mutter gar zu sehr ihren heimatlichen Gefilden verhaftet schien. An die Alster hätte sie mich kaum begleitet.

Bereut habe ich es eigentlich nie. Immerhin machte so die Bekanntschaft des 1.FC Wundervoll. Manch erbauliches Wortspielchen, zahlreiche Reisen und Bekanntschaften erweiterten meinen Horizont ganz ungemein. Und verhungern musste ich also auch nicht gerade.

Die ursprüngliche Abneigung ist längst kuriert. Mittlerweile bin ich jetzt seit einer Dekade boulevardesk tätig.  Mit Freude am Schreiben. Mit Witzen, die man niemals gedruckt sehen möchte. Manch Wortspiel aus der Hölle erfreute schon die geneigte Leserschaft. Und so soll es auch bleiben. Man tut halt, was man kann.