Von weißen Tauben und roten Plätzen

„Ich hol‘ dich dann um 10 Uhr ab.“ Jau, das klang doch mal nach ’nem Plan. Schön noch bei den weißen Tauben von Paloma die Jungs von der Adolf-Jäger-Kampfbahn ankucken gehen, bevor ich dann dienstlich ein Stück weiter südwestlich am Millerntor dem 1.FC Wundervoll beizuwohnen gedachte. Dass man sich den Gang dorthin hätte sparen können, ist heutigen Datums keine News mehr und daher dazu später mehr an anderer Stelle.

Adolf! Jäger! Kampfbahn! Das klingt nach guter, alter Zeit. Das ist Musik in den Ohren echter Fußball-Anhänger. Keine Wischi-Waschi-Arena. Kein Kommerz-Tempel. Keine Klatschpappen. Herrlich. Und einen bunten Haufen Verrückter als Anhänger, die als Freunde des gepflegten Rumprollens und munteren Pöbelns am Rande lautstark auf sich aufmerksam machen hat der AFC ja auch noch. Fußballherz, was willste mehr?

Na zum einen, dass man den altbekannten Unterschied zwischen Theorie und Praxis nicht vernachlässigen sollte. Denn die Idee war gut, nur ich noch nicht reif. Zumindest nicht an diesem Sonntag morgen, als mein Handywecker mich mit zunehmender Boshaftigkeit, aber umso nachhaltiger daran erinnerte, dass ich doch aufzustehen hätte. Und dies gemäß dem alten Zauberwort mit den zwei „t“ gar flott!.

Das freundliche „Man, siehst du Scheiße aus“, das mir zur Begrüßung nebst einem schwarz-weiß-roten Schal entgegenfleuchte, besserte meine Laune nur unwesentlich auf. Scheiße, Scheiße, Scheiße! Wer von meinen zahlreichen verstörten Egos war nur auf diese total super-dufte-grandiose Idee gekommen, am Abend zuvor nach Dienstschluss unbedingt noch nach Hamburg eilen zu wollen? Und das alles nur, um an der Einweihungsfete eines guten Kumpels und St.-Pauli-Fans teilzunehmen? Als ich dort eintrudelte, wurde die Party leerer. Ich widmete mich daher gleich dem Kühlschrank, denn der war noch gut gefüllt. Eine Aufgabe, die die Verbliebenen dort alle sehr ernst nahmen. Und erst als das Kühlgerät so gegen 4 Uhr morgens eine standesgemäße Leere erreicht hatte, gaben wir uns mit dem Werke zufrieden. Weil wir sahen, dass es gut war. Bis zum Anpfiff am Millerntor, war ja für die meisten noch etwas hin.

Tja, nur für mich ja nicht. Toller Plan. Fussi kucken gehen zu nachtschlafender Zeit. Immerhin, die Anhänger des AFC wurden ihrem Ruf als Spaßvögel zum Glück gerecht. Irgendwo auf dem Kiez hatten sie bei ihrem Anmarsch aus ihrer Pinte einen Trenchcoatträger undefinierbaren Alters mit wackligen Beinen aufgegabelt, dessen Mantel-Rückseite nun mit lustigen Stickern verziert wurde. Was diesen aber nicht störte, weil er es nicht mitbekam. Mein freundliches, aber bestimmtes Nein, als die wandelnde AFC-Litfaßsäule mich um eine Zigarette angehen wollte und nicht weiter als bis zum „Haste mal …“ kam, beschäftige ihn dann aber doch. Irgendwo in seinem oberhalb der Schultergegend angesiedeltem Arbeitsspeicher rappelten ein paar Synapsen und er nach ein paar unmotivierten Läufen entlang der Gegengrade wieder auf mich zu: „Sach ma, bist du aggressiv?“ In allerletzter Sekunde unterdrückte ich die natürliche Regung, ihm ein  „Verpiss dich du Arschloch, ehe ich die die Gräten breche“ entgegen zu feuern, presste ein geknurrtes „Nein, lass mich in Ruhe“ zwischen meinen trockenen Lippen hervor und wandte mich der kleinen Holzbude zu, die mit frischen Brötchen und totem Tier vom Grill den rund 300 Besuchern die Gaumen zu kitzeln gedachten. Nach dem Einwurf einer in Farbe und Form fast genau, aber nicht ganz präzise an Kaffee erinnernden Flüssigkeit (bestimmt hatte da der verfluchte Eddy, der Bordcomputer der Heart of Gold, seine Finger mit im Spiel?) hellte sich meine Laune zusehends auf. Mittlerweile gelang es mir die Formen in meiner Umgebung schon wieder recht gut zuzuordnen. Auf den sofortigen Einwurf eines Konter-Bieres konnte verzichtet werden. Wenigstens was.

Betrachteten wir also die Umgebung mit aufkeimender Lebensfreude, die in einem umgekehrt reziproken Verhältnis zu meinem Rest-Alkoholpegel standen. Werners Eiche war auch da. Gleich am Eingang. Auch wenn keiner wirklich Augen für dieses Kleinod hatte. Dann war da dieser Matsch gewordene Ascheplatz, auf dessen rot-braunem Untergrund sich die beiden fleißigen Oberligisten gar hingebungsvoll tummelten und die hohen Absätze der Spielerfrauen im aussichtslosen Kampf gegen Durchnässung und Verfärbung sich so tapfer reinbohrten. Daneben eins von den Sagen umwobenen und vom DFB in seiner so typischen Bescheidenheit auch nur in epischer Breite angepriesenen Minispielfeldern. Die Eintrittskarte war auch große Klasse. Eine Abrissrolle wie früher im Kino, hier nun mit dem Wappen des HFV versehen. Hach!

Die mit dem AFC sympathisierenden Gestalten, an dessen Rande sich auch einiges rot-weißes Zaunvolk aus Berlin eingefunden hatte,  sparten neben allerlei Gesang und an Urzeitmenschen ähnelnden Geräuschen auch nicht mit Anregung, wie denn der Herr Unparteiische seine Pfeife einzusetzen hätte. Auch über die bessere Handhabung des Winkelementes wussten sie dem Schiedsrichter-Assistenten den einen oder anderen Vorschlag zu unterbreiten. Wollte dieser aber partout nicht annehmen. Versteh‘ echt nicht, warum?

Und Tore hatte es auch. Hüben wie drüben. Gar fünf an der Zahl. Und  alle so angebracht, dass sie auch im Netz landeten (‚tschuldigung, kleiner an Otto W. aus E. angelehnter Scherz). Nö, war unterhaltsam. Und die letzte Bude vor der Pause hätte es bestimmt in die Auswahl zum Tor des Monates gebracht, so man denn nur in einer der monetär befriedeten Fernsehligen verweilt hätte. Ein herrlicher Freistoß mittenmang ins Dreiangel. Fein, fein. Auch wenn er für die Kampfbahn-Kumpels auf der falschen Seite angebracht wurde.

Mehr bekamen wir dann leider doch nicht mehr mit, weil getrieben von dem Wunsch, den Kampf der Kiez-Kicker zu sehen, wir zur Halbzeit unsere Zelte beim gastlichen USC abbrachen. Das wir sogar alle Tore des Tages gesehen hatten, war aus AFC-Sicht natürlich enttäuschend. Aber beruhigte uns ex eventu, dass wir nichts mehr verpasst hatten. War vielleicht doch nicht so übel gewesen. Der ganze Plan meine ich.

A sort of Home coming

Hohe Luft. Hagenbeckstraße. Planten un Blomen. Vertraute Klänge, daran erinnernd, dass man doch ein echets Nordlicht und in Berlin nur ein Zugereister ist. Ich habe zwar nur die ersten sechs Jahre in der Elbmetrole verbracht, doch wenn man nur 40 km weiter südwärts sein Abi gebaut hat, also dort, wo für den Hamburger der Balkan beginnt, nämlich südlich der Elbe, hatte man die Vorzüge der Hansestadt als Heranwachsnder doch genießen dürfen. Zumindest so viel davon, dass es in den Ohren klingt, wenn der breite hamburgische Akkzent sich in meine Hirnwindungen bohrt.

Apropos Klänge. Manche Menschen kennt man gar nicht im RL, obwohl sie einem sehr vertraut sind, wenn ihr Name erklingt. Womit ich jetzt nicht Twitteraner meine. Sondern solche Personen, die man stets nur am Telefonhörer vernimmt, aber noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen hat. So geht es mir mit unserer Schwesterzeitung. Was lag also näher, da ich mich ja beruflicherweis an der Elbe aufhalte, als das endlich mal zu beenden.

Heute vor der DFB-Pressekonferenz fuhr ich also mal kurz an Griegstraße 75 vorbei, den Kollegen mal die Hand schütteln. Ein Käffchen. Ein Pläuschen. War nett. Wenn auch kurz. Hatten ja zu tun die Kollegen.

Viel faszinierender empfanden meine entzündeten Augen aber das Vis-a-Vis. Nicht mal einen Steinwurf von der MoPo-Redaktion entfernt liegt die altehrwürdige Adolf-Jäger-Kampfbahn, Home des AFC ’93. Es ist einer dieser Sportstäten, an der der Unioner seine helle Freude gehabt hätte. Schalensitze des großen Bruders wurden hier aufgetragen. Eine als Meckerecke bekannte Kurve. Schiefe Traversen, Gras bewachsen. Hach!

Kann mich nicht mal erinnern, ob ich als Kind dort gewesen bin. Später auf keinen Fall. Nicht mal auf meinen Ausflügen als niedersächsischer Verbandsliga-Referee, der ab un dzu im Austausch in der Stadt an der Alster pfeifen durfte. Und doch wallen nur gute Gefühle in mir auf, wenn der Name Adolf-Jäger-Kampfbahn erklingt.

Erinnerte an die Alte Försterei vor der Sanierung. Ein Stück Fußballtradition also. Uwe Seelers Bruder Dieter schnürte sogar zeitweilig seine Töppen für den AFC. Echte Tradition also. Und eine, die sich wohl endgültig dem Ende zu neigt. Angeblich soll das Stadion für 12 Millionen Euro verkauft werden. Regionalligaspiele hatte der DFB den Altonaern bei ihrem kurzfristigen Intermezzo im höherklassigen Fußball vor der Spielzeit 08/09 ohnehin schon verwehrt. Nachvollziehbar vielleicht. Aber schade ist das schon.